Mumbai - Entlang der Ostküstenstraße in der südindischen Metropole Chennai wurden tiefe Furchen in den sandigen Boden gegraben. Sie sollen Teil eines 360 Kilometer langen Kanalsystems für Regenwasser werden. Für den Abschnitt M3 wird dafür der Grund ausgehoben und betoniert. Die Kanäle verlaufen über 52 Kilometer und sollen durch 27 Auslässe in den Golf von Bengalen fließen, finanziert mit deutschem Entwicklungskredit. An den Gruben erfreuen sich unterdessen Mücken, die im stehenden Wasser brüten, nicht aber die Menschen dort.
Die angrenzende Straße empfinden die Anwohner durch die Baustelle als Gefahrenquelle. Hinter einer einfachen Absperrung liegt ein Wassergraben, an dessen Seiten Metalldrähte herausragen. Das macht die PR-Redakteurin Lata Ganapathy unruhig, die in der Gegend wohnt. Sie sorgt sich auch um das Grundwasser in der ökologisch sensiblen Küstenregion, wenn das Regenwasser in Zukunft nicht mehr natürlich gefiltert im Sand versickert, sondern ins Meer geleitet wird. In der Region sind zudem Nistplätze einer bedrohten Meeresschildkrötenart.
Bislang habe die Stadtverwaltung nicht auf ihre Bedenken reagiert, sagt Ganapathy. Der in Chennai lebende Umweltschützer Nityanand Jayaraman hält die Schäden, die das 150 Millionen Euro teure indisch-deutsche Großprojekt anrichtet, bereits für teilweise irreparabel. Und er spricht mit Blick auf das dritte Teilstück von Geldverschwendung, denn an dieser Stelle komme es während des jährlichen Monsunregens nicht zu Überschwemmungen.
Keine Bedarf für Regenwasserkanäle?
Anwohner und Umweltschützer haben daher Beschwerde bei der Stadt und bei der deutschen Entwicklungsbank KfW eingereicht, die den Kredit im Auftrag des Entwicklungsministeriums vergeben hat. "Die KfW weigert sich, Informationen über das Projekt weiterzugeben", heißt es in einem Brief von Anwohnern, Wissenschaftlern und Fischern vom Dezember, der dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Umweltexperte Jayaraman kritisiert, dass sich die Bank nicht an ihre eigenen Umweltvorgaben halte.
Lakshmanan Elango, Leiter der Abteilung für Geologie an der Anna-Universität in Chennai, sieht bei einem sandigen Küstengebiet keinen Bedarf für Regenwasserkanäle. "Streng genommen sollten schon Gehwege vermieden werden." Unbebaut sauge der Sandboden 40 Prozent allen Regenwassers auf, sagte der Professor der Zeitung "The Hindu".
Die KfW betont indes, dass das Regenwassermanagement das Ziel verfolge, die Bevölkerung vor Überschwemmungen durch Starkregen angesichts des Klimawandels zu schützen. Umweltstudien hätten ergeben, dass keine Lebensräume von Tieren wie Meeresschildkröten direkt betroffen seien. Um den Sachverhalt nochmals zu klären, werde aber ein "weiteres unabhängiges Gutachten" erstellt. "Ferner haben wir vereinbart, dass Bauarbeiten in Strandnähe bis zur Klärung nicht stattfinden werden." Auch weitere Auszahlungen wurden vorerst auf Eis gelegt. Das Entwicklungsministerium erklärte, "man nehme die Bedenken zur Umweltverträglichkeit ernst".
Gründliche Umweltprüfung versäumt
Für Jayaraman ist das nicht genug. "Die KfW scheint nicht in der Lage, die Rechtmäßigkeit ihrer Kredite sicherzustellen oder dessen Folgen." Erst Anfang Januar seien die Bauarbeiten eingestellt worden. Dass eine gründliche Umweltprüfung versäumt wurde, darauf wies am 28. Dezember auch das National Green Tribunal hin, eine von der indischen Regierung eingesetzten Instanz zur Klärung von Umweltfragen.
Ganapathy und ihre Mitstreiter versuchen, auch die an der Küste lebenden Fischer aufzuklären. 40 Wohnsiedlungen mit bis zu 300 Häusern sind auf das natürliche Grundwasser angewiesen. Unterdessen haben sich in Deutschland fünf Bundestagsabgeordnete der Linken eingeschaltet, darunter Michel Brandt. "Es ist unhaltbar, mit Steuergeldern so verantwortungslos umzugehen", sagte er. Brandt fordert das Entwicklungsministerium auf, die Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung zu veröffentlichen und die Vorwürfe schnellstmöglich zu untersuchen: "Die deutsche Entwicklungshilfe darf keine Gelder in illegale und umweltschädliche Projekte fließen lassen.