Berlin - In der Bundesregierung geht das zähe Ringen um ein Lieferkettengesetz weiter. Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer sagte am Mittwoch in Berlin, dass es nach der Sitzung des Bundeskabinetts einen Austausch zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den zuständigen Ministern über das Thema gegeben habe. "Es gibt ein großes Interesse, da voranzukommen."
Ein Lieferkettengesetz soll große deutsche Firmen in die Pflicht nehmen, auch bei ihren ausländischen Zulieferern auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutzkriterien zu achten. In der Regierung sorgt das Thema seit Monaten für Streit. Während das Arbeitsministerium gemeinsam mit dem Entwicklungsministerium schon im vergangenen Sommer Eckpunkte erarbeitet hat, stellt sich das Wirtschaftsministerium bis heute quer.
Eine Sprecherin von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wies insbesondere auf die geplanten Regeln für eine Haftung hin. Diese müssten praktikabel sein. Ansonsten könne es dazu kommen, dass sich Unternehmen wegen unklarer Haftungsregeln im Gesetz aus Regionen - zum Beispiel in Afrika - gänzlich zurückzögen.
70 Wirtschaftsexperten fordern Gesetz
Laut Demmer nahmen an dem aktuellen Austausch neben Merkel und Altmaier auch Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU), Vizekanzler Olaf Scholz (SPD), Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) teil. Die Eckpunkte, die derzeit erarbeitet werden, sollen auch in die Verhandlungen auf EU-Ebene einfließen. Denn die Europäische Union plant ebenfalls ein Lieferkettengesetz.
Derweil werden Rufe nach einem deutschen Gesetz immer lauter. Mehr als 70 Ökonominnen und Ökonomen veröffentlichten einen Aufruf. Darin heißt es: "Am Weltmarkt haben sich Lieferketten durchgesetzt, die zu einer Güterproduktion mit erheblichen sozialen und ökologischen Kosten führen." Ein wirkungsvolles Lieferkettengesetz müsse zu Verhaltensänderungen in den Unternehmen führen und bei Verstößen "ordnungs- und haftungsrechtliche Konsequenzen" einschließen.
Den Aufruf unterzeichnet hat auch die Ökonomin Elisabeth Fröhlich, Präsidentin der CBS International Business School. Sie fordert, dass Wirtschaft neu gedacht werden müsse. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) kritisierte sie, dass bei der Diskussion um faire Löhne immer nur erhöhte Lohnkosten gesehen würden. "Nicht gesehen wird aber, dass ich durch einen Lohn, der es ermöglicht, die Familie zu ernähren, ein ausgeglichenes Leben bewirke, schwere Unfälle durch Übermüdung vermeide und sogar die Produktivität steigere."
"Wertmaßstab funktioniert nicht mehr"
Ein weiteres Problem sei: "Unser Wertmaßstab funktioniert nicht mehr", fügte Fröhlich hinzu. Kleidungsstücke für Cent-Preise würden auch von den Konsumenten nicht gewürdigt und landeten schnell im Müll - der im Übrigen irgendwo entsorgt werden müsse. "Ein Spielzeug des verstorbenen Vaters wiederum würde ich auch für viel Geld nicht verkaufen."
Das Lieferkettengesetz geht auf den "Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte" (NAP) aus dem Jahr 2016 zurück, der auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD bekräftigt wird. Dieser sieht vor: Wenn sich bis 2020 herausstellt, dass weniger als die Hälfte der großen Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen, sollen "weitergehende Schritte bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen" geprüft werden. Es stellte sich heraus, dass noch nicht einmal ein Fünftel der Unternehmen die Anforderungen hinreichend erfüllt.
Als Blaupause für ein Lieferkettengesetz dient das 2019 eingeführte staatliche deutsche Gütesiegel "Grüner Knopf": Damit werden Textilien von Unternehmen ausgezeichnet, die ökologische und soziale Kriterien einhalten und die Lieferketten offenlegen. So darf es bei der Herstellung keine Kinder- oder Zwangsarbeit geben, Mindestlöhne müssen gezahlt und Arbeitszeiten eingehalten werden. Der Einsatz gefährlicher Chemikalien ist verboten.