Menschenrechtler enttäuscht von deutscher EU-Ratspräsidentschaft

Göttingen - Die zum Jahreswechsel endende deutsche EU-Ratspräsidentschaft war nach Ansicht der Gesellschaft für bedrohte Völker menschenrechtlich eine Enttäuschung. Die Bundesrepublik habe in den vergangenen sechs Monaten konsequent realpolitische Erwägungen über Menschenrechte gestellt, sagte am Mittwoch der Direktor der in Göttingen ansässigen Menschenrechtsorganisation, Ulrich Delius.

"Besonders deutlich ist das im Verhältnis zu China geworden, wo Berlin europäische Bemühungen permanent blockiert hat", fügte Delius hinzu. Wohl aus Rücksicht auf die Interessen der deutschen Autoindustrie habe es keine Reaktion auf die verschärfte Lage der Muslime in Xinjiang, die Ausweitung des Zwangsarbeits-Systems auf Tibet oder die Niederschlagung der Demokratie-Proteste in Hongkong gegeben.

"Angststarre" der EU gegenüber der Türkei

Auch in Sachen Krisenprävention hat die deutsche Ratspräsidentschaft ihre Gestaltungsmöglichkeiten Delius zufolge nicht genutzt. Die humanitäre und menschenrechtliche Katastrophe in Äthiopien habe sich über Monate angekündigt. Die EU hätte im Vorfeld der Militärintervention in Tigray alle Möglichkeiten nutzen müssen, um einen Krieg in der Hungerregion zu verhindern. Doch mit öffentlicher Kritik an Äthiopiens Regierung habe sich Deutschland zurückgehalten. Die EU habe mit ihrem Schweigen mutmaßliche Kriegsverbrechen und andere schwere Menschenrechtsverletzungen indirekt gefördert.

Delius sagte weiter, die Furcht Berlins vor Flüchtenden und Einwandernden habe zudem die "Angststarre" der EU gegenüber der Türkei zementiert. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan habe schnell gelernt, dass er sich nach dem Flüchtlings-Deal mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) "praktisch alles erlauben kann - und das tut er auch". Für seine Unterstützung des aserbaidschanischen Angriffs auf Bergkarabach sei aus Brüssel "keinerlei Gegenwind" gekommen. Erdogans Krieg gegen ethnische und religiöse Minderheiten in Nordsyrien und seine Waffenlieferungen nach Libyen liefen weiter. Einzig die türkischen Erdgasbohrungen nahe Zypern schienen eine Reaktion zu provozieren - "denn da geht es ja nicht um Menschen, sondern um Devisen".

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