Tunis (epd). Die 27-jährige Emna Chargui muss sich seit Donnerstag in der Hauptstadt Tunis vor der Justiz verantworten. Ihr wird ein Verstoß gegen das tunesische Presserecht vorgeworfen, indem sie zu "Hass zwischen den Religionen" und zu Diskriminierung aufgerufen habe, sagte ihre Anwältin Ines Trabelsi dem Evangelischen Pressedienst (epd). Chargui hatte Anfang Mai auf ihrem Profil ein Foto einer "Corona-Sure" geteilt, eine Persiflage einer Koran-Sure, welche die Pandemie thematisiert.
Das Foto kursiert den Berichten verschiedener Medien zufolge bereits seit März in den sozialen Netzwerken. Am 6. Mai wurde Chargui von der Staatsanwaltschaft Tunis zum Verhör vorgeladen. Im Fall einer Verurteilung drohen der Angeklagten bis zu drei Jahre Haft und eine Geldstrafe zwischen 1.000 und 2.000 Dinar (rund 320 bis 640 Euro).
Kritik von Menschenrechtsorganisationen
Die "Koalition für individuelle Freiheiten", ein Zusammenschluss tunesischer Menschenrechtsorganisation, warf der Staatsanwaltschaft vor, die Frau in Abwesenheit ihrer Anwälte verhört zu haben und den Artikel 6 der Verfassung, der Religionsfreiheit garantiert, zu missachten. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte die Behörden auf, das Verfahren gegen Chargui einzustellen und sie vor Mord- und Vergewaltigungsdrohungen zu schützen, der die Angeklagte seit Bekanntwerden der Vorwürfe ausgesetzt sei. Der Fall zeige, dass Tunesien trotz demokratischer Entwicklungen nach wie vor repressive Gesetze nutze, um die Meinungsfreiheit einzuschränken, erklärte die Amnesty-Vizedirektorin für Nordafrika, Amna Guellali.