Berlin, Brasília (epd). Zwei Ministerrücktritte binnen weniger Tage, Rufe nach Wiedereinsetzung der Militärregierung und ein irrlichternder Präsident: Brasiliens Regierung präsentiert sich inmitten der Corona-Pandemie zerstritten - und das bei immer weiter steigenden Infektionszahlen. Nachdem der populäre Gesundheitsminister Henrique Mandetta im Streit von Präsident Jair Bolsonaro entlassen wurde, warf jetzt auch "Superminister" Sérgio Moro das Handtuch. Der ehemalige Bundesrichter stand für das Wahlversprechen Bolsonaros, der Korruption in Brasilien Einhalt zu gebieten.
Moro galt als Star der Regierung. Seine Anhänger reichten weit bis ins bürgerliche Lager. Seinen Abgang hat Moro mit schweren Vorwürfen gegen den Präsidenten verbunden. Bolsonaro habe versucht, Ermittlungen gegen seine Söhne zu unterbinden, sagte Moro. Gegen drei von ihnen ermitteln die Behörden wegen Korruption, Geldwäsche und Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation. Sie sind prominente Politiker und gelten als enge Berater des Präsidenten.
Innerer Machtkampf
Der Rücktritt von Moro wirft ein Schlaglicht auf den inneren Machtkampf der radikalen und gemäßigten Rechten im Kabinett. Unklar ist, wie viel Rückhalt der Präsident dort noch hat. Dabei war es gerade Moro, der dem politischen Außenseiter Bolsonaro den Weg in den Präsidentenpalast ebnete. Moro hatte den linken Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva in einem umstrittenen Gerichtsverfahren 2017 wegen Korruption zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Lula war Präsidentschaftskandidat und lag in Umfragen weit vor seinen Herausforderern. Später veröffentlichte die Investigationsplattform "The Intercept" dann einen Nachrichtenwechsel, der eine enge Absprache zwischen Moro und der Staatsanwaltschaft belegte, um eine Verurteilung Lulas zu erreichen. 2018 gewann Bolsonaro schließlich die Präsidentschaftswahl und holte Moro als Justizminister.
Bolsonaro gibt sich in der Corona-Krise gewohnt wissenschaftsfeindlich und brandmarkt das Virus nach wie vor als Erfindung der Medien. Unlängst zeigte er sich seinen Anhängern, die vor dem Hauptquartier der Armee in Brasília gegen die von den Gouverneuren der Bundesstaaten verhängten Ausgangsbeschränkungen demonstrierten. Auf der Ladefläche eines Pickups versprach Bolsonaro: "Ich werde weiter für Freiheit kämpfen." Vor ihm forderten seine Fans die Auflösung des Parlaments und des Obersten Gerichtshofes, der über die Einhaltung der Verfassung wacht. Sie skandierten "AI-5". Dieser berüchtigte Erlass der Generäle von 1968 läutete die brutalste Phase der Militärdiktatur (1964 bis 1985) in Brasilien ein und galt als Freibrief für Folter und Verfolgung. Für Bolsonaro ist die Corona-Krise zur Plattform geworden, um die Demokratie weiter zu demontieren.
Gleiches Muster
Dabei ist das Muster seiner Auftritte immer gleich. Er provoziert und rudert kurze Zeit später rhetorisch zurück. Selbstverständlich respektiere er die Institutionen, sagte Bolsonaro nach seinem Auftritt vor dem Armee-Hauptquartier. "Ich bin die Verfassung", verkündete er lautstark. Die Reden von Bolsonaro mögen spontan erscheinen, seien aber mit Präzision geplant, sagt der Politikwissenschaftler Oliver Stünkel von der Wirtschaftsuniversität Getúlio Vargas in São Paulo. Bolsonaro wolle die öffentliche Debatte dominieren und so vom Corona-Desaster seiner Regierung ablenken.
Unklar ist, wie lange Bolsonaros Kalkül noch aufgeht. Die Corona-Infektionen steigen in Brasilien in einem dramatischen Ausmaß und offenbaren das verheerende Krisenmanagement der Regierung. Zudem wurden gegen Bolsonaro bereits mehrere Amtsenthebungsverfahren bei Parlamentspräsident Rodrigo Maia eingereicht. Wenn Maia diese zur Beratung zulässt, droht die Regierung zu zerfallen.
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