Genf (epd). Noch ist die Zahl der registrierten Corona-Infizierten in Afrika vergleichsweise gering: Am Mittwoch übersprang sie laut der Weltgesundheitsorganisation die Marke von 3.700, verstreut auf 42 Länder. Doch es kommen täglich Hunderte neue Fälle hinzu. Und mit der Zahl der Erkrankten wächst die Angst: Davor, dass die oft maroden Gesundheitssysteme der Pandemie nichts entgegensetzen können. Und davor, dass eine ähnliche Prognose auch für die Staaten als Ganzes gelten könnte. "Das Risiko ist groß, dass die Pandemie zu einer Verschlimmerung von Krisen und Konflikten führt", warnt Elissa Jobson, Afrika-Direktorin der International Crisis Group.
Was Jobson fürchtet, ist eine Kettenreaktion: Kollabierende Gesundheitssysteme könnten zu Unruhen und Aufständen führen, die der Staat mit Hilfe seiner Sicherheitskräfte niederzuschlagen versucht. Mangelndes Vertrauen in die Politik und die existenzielle Not derer, die wegen Ausgangssperren Hunger leiden, könnten die Lage noch verschärfen. "Dschihadisten oder andere bewaffnete Gruppen könnten ihre Aktivitäten dann ausweiten: sie nutzen das Chaos, und die Gefahr ist groß, dass Armee und Polizei in den besonders gefährdeten, unregierten Räumen noch weniger präsent sind als sonst."
Schwäche ausnutzen
Feststeht, dass der Terror trotz Corona weitergeht. Vor einer Woche überfielen Islamisten, die zu den Nachfolgegruppen von Boko Haram gezählt werden, einen Armeestützpunkt im Tschad und töteten 92 Soldaten. Es war der erste Terrorangriff in dem zentralafrikanischen Land seit fünf Jahren. Im Nordosten Nigerias überfiel ein anderes Boko-Haram-Kommando einen Konvoi der nigerianischen Armee, erbeutete schwere Waffen und Munition und tötete 70 Soldaten. Beide Angriffe könnten statt mit Corona auch mit dem Machtkampf zwischen Al-Kaida und dem "Islamischen Staat" (IS) zu tun haben, die um die Vorherrschaft im Tschadbecken kämpfen.
Im Zuge der Corona-Krise droht Afrika eine Terror-Pandemie. Denn früher oder später, da ist Jean-Paul Rouiller sich sicher, werden beide Terrorgruppen die staatliche Schwäche hemmungslos ausnutzen. "Wenn Sicherheitskräfte sich auf die Abwehr anderer Gefahren konzentrieren, bedeutet das eine große Chance für Terroristen", sagt Rouiller, Terrorexperte am Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP). Das gelte umso mehr, wenn internationale Unterstützung nachlasse, etwa in Mali. "Wenn die französische Armee oder die UN-Mission Minusma nicht mehr in vollem Umfang funktionieren oder sich gar zurückziehen, werden Terroristen die Lücke in Nord-Mali füllen."
Nachlassen der Moral
An Minusma ist auch die Bundeswehr mit bis zu 1.100 Soldaten beteiligt. Die UN in New York äußern sich bislang nicht dazu, ob Grenzschließungen und andere Auflagen infolge der Corona-Pandemie den mutmaßlich gefährlichsten Blauhelmeinsatz der Welt beeinträchtigen. Doch Elissa Jobson beobachtet bereits erste Folgen: "Truppenkontingente dürfen wegen Reisebeschränkungen nicht wie sonst rotieren, das bedeutet, dass Soldaten länger als gewohnt im Einsatz sind." Die möglichen Folgen: "Ein Nachlassen der Moral, weniger Einsatzbereitschaft, das ist tatsächlich ein Problem."
Die Terroristen hingegen wirken motiviert. In seinen Videos bezeichnet der IS die Corona-Pandemie als "Strafe Gottes" für die Ungläubigen. Die Islamisten wähnen sich entsprechend auf der Gewinnerseite. Dass sie gerade im Sahel zuletzt ihre Anhängerschaft deutlich vergrößern und eine wachsende Zahl von Attentaten verüben konnten, ist ein weiteres Moment aufseiten der Islamisten. Der Chef der Vereinten Nationen für die Region, Mohammed Ibn Chambas, nennt Terror und Gewalt im Sahel beispiellos. Burkina Faso, Mali und Niger sind besonders bedroht, ebenso Somalia.
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