Kinder sollten nicht auf Feldern arbeiten, sondern an ihren Träumen

epd-bild/Nicola Glass
Kinder, die von den Schwestern der Organisation "Bal Suraksha Abhiyan" (BSA) aus der Kinderarbeit befreit wurden.
Ordensfrauen in Indien kämpfen gegen Kinderarbeit
Schuften im Schlachthof oder im Steinbruch: Kinderarbeit ist in Indien per Gesetz verboten. Trotzdem ist sie immer noch weit verbreitet. Doch mancherorts gibt es auch Hoffnung.

Kalimpong (epd). Vom oberen Stockwerk hallen Stimmen und Gelächter, und die Jungen begrüßen die Gäste auf Englisch: "Herzlich willkommen, hoffentlich gefällt euch die Show." Dafür haben sie Tänze eingeübt, es gibt Live-Musik. Tanzen und Toben, Spielen und Spaß: Dass sie ihre Jugend genießen und zur Schule gehen können, verdanken sie der Ordensfrau Subeshna und "Bal Suraksha Abhiyan" (BSA). Die Organisation ist Partnerin des katholischen Hilfswerks Caritas und heißt übersetzt "Kampagne für Kindesschutz". Ihr Sitz ist Kalimpong in der Teeanbauregion Darjeeling - ganz im Norden des Bundesstaates Westbengalen.  

Die Schwestern des Ordens "St. Joseph von Cluny" haben ihre Organisation 2006/2007 ins Leben gerufen. Arbeitende Kinder zu befreien, geschehe in enger Zusammenarbeit mit Polizei und Behörden, betont Schwester Subeshna. In diesem Kampf gilt Kalimpong als beispielhaft, zumal die Schwestern als hartnäckig bekannt sind: "Vielen Menschen ist zunehmend bewusst, dass Kinderarbeit ein Verbrechen ist." Etwa 500 Kinder hat BSA nach eigenen Worten befreit.  

Gute Schule und Geld versprochen

Einer ihrer Schützlinge ist der 16-jährige Anil (Name geändert). Bei den Schwestern, wo Kinder und Jugendliche hinduistischen, muslimischen, christlichen und buddhistischen Glaubens zusammen leben, fühlt er sich heimisch. Anils Mutter starb früh, sein Vater, ein Trinker, konnte nicht für ihn sorgen. Daher nahm ihn die Großmutter auf. Er sei noch klein gewesen, als einige Männer ins Dorf kamen, die nach einer Arbeitskraft suchten.

Seine Großmutter wollte ihn nicht gehen lassen. Doch als die Männer ihm den Besuch einer guten Schule und Geld versprachen, sei sie einverstanden gewesen. Anil wurde jedoch in ein Schlachthaus verfrachtet. Von etwa drei Uhr früh bis in den späten Abend musste er sauber machen, Hühnerfleisch schneiden oder verkaufen: "Wenn ich etwas zerbrochen hatte, wurde ich geschlagen", sagt er.  

Pausen waren verboten

Nicht weit entfernt lebt in der Obhut der Cluny-Schwestern die 14 Jahre alte Syna (Name ebenfalls geändert). Sie ist heute noch aufgewühlt, wenn sie von ihrem Martyrium als Hausmädchen berichtet: Teller und Wäsche waschen, Essen kochen und sauber machen. Pausen waren ihr verboten.  

Weil ihre Familien bitterarm und oft verschuldet sind, müssen Millionen Kinder in Indien schuften: Als Hausangestellte, auf Feldern, in Fabriken, Teppichindustrie, Ziegeleien oder Steinbrüchen. Laut der letzten Volkszählung 2011 gibt es auf dem Subkontinent mehr als 10,1 Millionen Kinderarbeiter zwischen fünf und 14 Jahren: Etwa 4,5 Millionen Mädchen und 5,6 Millionen Jungen. In den Köpfen vieler Verantwortlicher hat sich bis heute nicht festgesetzt, dass Ausbeutung und Gewalt verboten gehören.  

Bestehende Gesetze lückenhaft

Kritiker wie die Aktivisten des Netzwerks "Kampagne gegen Kinderarbeit" in Westbengalen halten selbst diese Zahlen für zu niedrig und bestehende Gesetze für lückenhaft, gar kontraproduktiv. Zum Beispiel ist laut einer 2016 erlassenen Gesetzesänderung jede Arbeit von Kindern bis zum Alter von 14 Jahren verboten. Trotzdem gibt es Schlupflöcher: So dürfen Kinder nach der Schule oder in den Ferien zu Hause helfen oder im Geschäft ihrer - oft weit verzweigten - Familien arbeiten. Somit sind dem Missbrauch wieder keine Grenzen gesetzt.  

"Will man eine Gesellschaft frei von Kinderarbeit schaffen, muss man in jedes Haus, jedes Geschäft und jedes Dorf gehen", betont Ordensfrau Subeshna. Unter anderem arbeitet BSA mit der Organisation "Childline" zusammen. Unter der landesweit kostenlosen "Childline"-Nummer 1098 kann jeder anrufen, der Hilfe braucht oder Fälle melden will - täglich rund um die Uhr. Die Rufnummer hängt auch bei der Polizei von Kalimpong aus, die einen Raum als "Child Friendly Office" eingerichtet hat.  

"Die Schwestern sind für uns wie Mütter"

Ein UN-Nachhaltigkeitsziel lautet, Kinderarbeit in allen Formen bis 2025 zu unterbinden. Das aber hält Schwester Subeshna für unrealistisch, denn Indien mit seinen knapp 1,4 Milliarden Einwohnern sei zu groß.

2019 lautete das Motto des internationalen Tages gegen Kinderarbeit: "Kinder sollten nicht auf Feldern arbeiten, sondern an ihren Träumen." Das tun die Jungen und Mädchen, um die sich die Cluny-Ordensfrauen kümmern: Sie möchten Ingenieure oder Musiker werden, zur Armee oder Polizei gehen oder Medizin studieren. Anil ergänzt: "Die Schwestern sind für uns wie Mütter."  

Neuen Kommentar hinzufügen

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
CAPTCHA
Wählen Sie bitte aus den Symbolen die/den/das Roller aus.
Mit dieser Aufforderung versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.

Schlagworte

Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!
„welt-sichten“ schaut auf vernachlässigte Themen und bringt Sichtweisen aus dem globalen Süden. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Warum denn das?
Ja, „welt-sichten“ ist mir etwas wert! Ich unterstütze es mit
Schon 3 Euro im Monat helfen
Unterstützen Sie unseren anderen Blick auf die Welt!