Dhaka (epd). Gleich am Eingang ist die Tür zum Steuerungssystem der Feueralarmanlage, ein paar Schritte weiter hängt eine Tafel an der Wand, die aufzeigt, wie viele Näherinnen und Näher heute zur Arbeit gekommen sind. Der Weg zu den riesigen Nähräumen, die Treppen hoch, ist gesäumt von Schildern mit Sicherheitsvorschriften, Helmen, Atemmasken, Löschsand. Die Textilfabrik Radisson Garments in Dhaka tut alles, damit es nie mehr zu einer Katastrophe wie 2013 in Rana Plaza kommt. Damals stürzte das Fabrikgebäude ein, Rettungswege waren versperrt. Mehr als 1.100 Menschen kamen ums Leben und rund 2.500 wurden verletzt.
Seitdem hat sich viel getan in Bangladesch, was die Gebäudesicherheit angeht. Das betonen Regierung und Unternehmen, aber auch Gewerkschaften. "Wir haben große Fortschritte in Sicherheitsdingen gemacht", erklärt die Aktivistin Kalpona Akter. "Danke, Accord, dass du das Leben unserer Arbeiterinnen und Arbeiter sicherer gemacht hast", sagt sie mit Blick auf das Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit, das nach Rana Plaza von fast 200 Unternehmen unterzeichnet wurde. "Doch wir müssen noch über andere Punkte reden", fährt die Gründerin und Leiterin der Organisation "Bangladesh Centre for Worker Solidarity" fort. Nämlich über betriebliche Mitbestimmung, Gewerkschaftsrechte - und nicht zuletzt über Löhne.
Mindestlohn reicht nicht, um Familie zu ernähren
Kalpona Akter wendet sich vor allem an ihre Regierung, aber auch Einkäufer aus Europa und Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) sitzen mit am Tisch. "Holt euch nicht einfach nur das Billigste, was ihr finden könnt", appelliert sie an Unternehmen und Konsumenten. "Unsere Leute sorgen dafür, dass andere an anderen Orten der Welt gut aussehen." Ausbeutung wäre dafür ein schlechter Dank.
Weltweit arbeiten mehr als 75 Millionen Menschen in der Bekleidungsindustrie, vor allem Frauen in Entwicklungsländern. Nicht wenige schuften noch immer zehn oder mehr Stunden am Tag unter untragbaren, oft gesundheitsschädlichen Bedingungen. Ein Großteil der Kleidung, die in Deutschland verkauft wird, kommt aus Bangladesch. Hier gibt es rund vier Millionen Beschäftigte in etwa 5.000 Textilfabriken, von denen gut ein Drittel für den Export produziert. In dem südasiatischen Land hat sich mittlerweile ein monatlicher Mindestlohn von umgerechnet etwa 85 Euro durchgesetzt. Das aber reicht bei weitem nicht, um eine Familie zu ernähren, ihr ein Dach über dem Kopf zu bieten und die Kinder zur Schule zu schicken.
"100 Prozent exportorientiert"
Auch die Hosen und Hemden von Radisson Garment gehen in den Export. "100 Prozent exportorientiert" steht an der Fassade. Unter anderem Lidl, Rossmann und Kaufland lassen hier fertigen. Täglich produzieren die 1.500 Mitarbeiter rund 8.000 bis 10.000 Kleidungsstücke. Einige der Produktionslinien sind dabei den übrigen voraus: Hier werden nur Teile genäht, die besondere Anforderungen an Umwelt und Menschenrechte erfüllen. Sie sind für das deutsche Textilsiegel "Grüner Knopf" zertifiziert. Das bekommen nur Textilien, sei es Kleidungsstücke oder Rucksäcke, die 26 soziale und ökologische Mindeststandards einhalten - von Abwassergrenzwerten bis zum Zwangsarbeitsverbot.
Rund 30 Unternehmen sind bislang dabei, darunter Tchibo und Vorreiter wie Vaude, aber auch Discounter wie Aldi und Lidl. Jedes Produkt, an das sie den "Grünen Knopf" heften wollen, muss den Mindestanforderungen entsprechen. Das kontrollieren unabhängige Prüfer. Bei Radisson Garment laufen derzeit Bestellungen von Brands Fashion, Workwear-Spezialist mit Sitz in Buchholz in der Nordheide, durch die "Grüne Knopf"-Produktionslinien. Gerade sind es Jeans mit Lidl-Logo, Berufskleidung für die Mitarbeiter.
Zu viele schwarze Schafe in der Branche
Dass sich noch mehr bewegt, die Löhne zum Leben reichen, das wünschen sich alle. Mindestanforderungen wie beim "Grünen Knopf" sind aber schon einmal ein entscheidender Schritt. Und für die Einkäufer machen sie nach europäischen Kriterien auch preislich kaum etwas aus: Statt sechs Dollar kostet die Produktion einer Jeans dieser Qualitätskategorie vielleicht sieben.
Dennoch, so betonen Vertreter engagierter deutscher Unternehmen, hätten die, die sich nicht daran halten, Wettbewerbsvorteile. Und es gebe es zu viele schwarze Schafe in der Branche, die weiter versuchten, die Preise zu drücken. "Verbindlichkeit für alle ist aus unserer Sicht der einzige Weg, dass wir den Paradigmenwechsel schaffen", sagt Nanda Bergstein, Direktorin Unternehmensverantwortung bei Tchibo. Bei Minister Müller rennt sie damit offene Türen ein. Denn der dringt längst auf ein Lieferkettengesetz.
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