Berlin, São Paulo (epd). Brasilien hat eines der ungerechtesten Bildungssysteme weltweit. Wer Geld hat, zahlt eine teure Privatschule für sein Kind. Der Rest - immerhin mehr als 80 Prozent der Bevölkerung - muss die oftmals prekären öffentlichen Schulen nutzen. Dabei wird die Kluft immer größer. Denn die Regierung des rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro kürzte den Etat für Kitas, Schulen, Universitäten und staatliche Forschung um 30 Prozent - mit verheerenden Folgen.
Staatliche Schulen in Brasilien hatten schon immer einen schlechten Ruf. Die Gebäude sind marode, Lehrer fehlen und werden schlecht bezahlt. "Ich habe seit zwei Jahren keinen Mathematikunterricht gehabt", erzählt beispielsweise die zwölfjährige Marisa Ramos aus dem Süden der Metropole São Paulo. Für viele Unterrichtsfächer habe sie keine Bücher, einen Kopierer gebe es aber auch nicht. Auf dem Land ist die Situation noch kritischer: Zunehmend würden Grundschulen geschlossen, weil die Regierung die Mittel gekürzt habe, beklagt die Landlosenbewegung MST. Laut offizieller Statistik waren in den ländlichen Gebieten im vergangenen Jahr 145.000 Kinder weniger eingeschult als im Vorjahr.
Schulen im schlechten Zustand
"Das Problem ist, dass die Regierung Bolsonaro das Bildungswesen strategisch zerstören will", sagt der Politikwissenschaftler Daniel Cara von der Nationalen Kampagne für das Recht auf Bildung. Die Kürzungen von 7,6 Milliarden Reais (rund 1,6 Milliarden Euro) lastet Bolsonaro der schlechten wirtschaftlichen Lage an und verweist dabei regelmäßig auf die "Vorreiterposition" von Brasilien in Bildungsausgaben. Rund sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) gibt das Land für Bildung aus. Der Anteil sei damit höher als im Durchschnitt der OECD-Staaten, die nur 5,5 Prozent des BIP in die Bildung stecken, argumentiert die Regierung.
Augenwischerei nennt Cara solche Statistiken: "Brasilien investiert nur etwa ein Viertel von dem, was die am meisten entwickelten Länder pro Schüler ausgeben." Das sei umso schwerwiegender, weil der Zugang zu Bildung in Brasilien viel komplizierter sei als in westlichen Ländern. Hinzukomme der schlechte Zustand von Schulen, oftmals ohne Elektrizität und Abwassersystem.
Schlusslicht in Mathematik, Lesen und Schreiben
Nicht verwunderlich ist deshalb, dass bei den PISA-Umfragen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die brasilianischen 15-Jährigen regelmäßig mit einigen anderen Ländern das Schlusslicht in Mathematik, Lesen und Schreiben bilden. Der Kreislauf setzt sich fort: Nur wenige der Absolventen von öffentlichen Schulen schaffen die Aufnahmetests zu den staatlichen gebührenfreien Elite-Unis.
Dazu kommt die rechtsextreme Agenda des Präsidenten. Nicht nur ruft er dazu auf, kritische Lehrer zu denunzieren, auch greifen evangelikale Christen und die Militärs zunehmend nach den Lehrplänen. Als Projekt der Zukunft feiert Bolsonaro öffentlich-militärische Schulen. Diese Kooperation gibt es zwar bereits seit 20 Jahren, Bolsonaro will sie aber massiv ausbauen. Öffentliche Schulen geben dabei einen Teil ihrer Kompetenz an das Militär ab. Ursprünglich wurden diese "Modellschulen" in sozialen Brennpunkten errichtet und sollten für mehr Sicherheit der Kinder sorgen.
Drill und militärische Disziplin
Bei Bolsonaro gehe es aber um Ideologie, sagt Bildungsforscher Cara. In solchen Schulen herrscht seit seinem Amtsantritt nicht nur Drill und militärische Disziplin, die 20 Jahre währende Militärdiktatur wird neu interpretiert. Kritische Debatten über brasilianische Geschichte, Regenwaldabholzung oder Rassismus haben keinen Platz. "Bolsonaro will Pädagogen durch Militärs mit autoritärer Disziplin ersetzen", sagt Cara. Diese Einrichtungen erhalten mehr Geld als andere öffentliche Schulen und sind deshalb bei vielen Eltern beliebt, die sich eine bessere Bildung für ihre Kinder erhoffen. Offiziell darf das Militär zwar nicht in den Lehrplan eingreifen, doch viele Lehrer fühlen sich überwacht.
Die sozialdemokratische Regierung von Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva schuf 2006 zusammen mit Städten und Gemeinden einen Fonds für die Finanzierung der Grundbildung, an dem sich der Bund mit zehn Prozent beteiligt. Abgeordnete wollten jüngst die staatliche Beteiligung auf 40 Prozent erhöhen. Das Bildungsministerium schmetterte den Vorschlag umgehend ab.
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