An Bord der "Ocean Viking" (epd). Es ist kurz nach zwölf, als die Männer im Container auf dem Achterdeck geweckt werden. Die Menschen aus Eritrea, Bangladesch, Mali und anderen Ländern sind vor fünf Tagen von denselben Leuten aus Seenot gerettet worden, die nun ihre Nachtruhe stören: der Crew der Hilfsorganisationen SOS Méditerranée und "Ärzte ohne Grenzen" auf dem Rettungsschiff "Ocean Viking". Immer mehr Helfer kommen nun in den Wohncontainer der Geretteten, wollen dabei sein. Sie bahnen sich einen Weg zwischen Beinen, Köpfen und Decken. Der Raum wird von Heizstrahlern an der Decke in ein oranges Licht getaucht. Fragende Gesichter.
Der Missionschef von "Ärzte ohne Grenzen", Aloys Vimard, und zwei Kollegen bitten die Männer, sich in Sprachgruppen zusammen zu setzen - Französisch, Englisch, Arabisch. Dann hebt Vimard zu einer kleinen Rede an. "Schon fünf Tage, dass wir die Zeit gemeinsam auf dem Schiff verbringen, das ist nicht einfach", sagt er, eine Mappe in der Hand und ein Funkgerät auf der Brust. Jetzt sei aber eine Lösung gefunden, die Menschen dürften nach Europa, "ein Hafen in Italien". Kurzes Klatschen, erleichtertes Lächeln, Gemurmel.
Vorläufiges Ende einer Reise
Nun geht es reihum in den verschiedenen Sprachen, Vimard und seine Kollegen geben weitere Hinweise, vor allem, wo es überhaupt hingeht: Der Hafen von Pozzallo, den die italienische Küstenwache dem Schiff zugewiesen hat, liegt im Süden Siziliens. In der kleinen Stadt wollen die italienischen Behörden sie in Empfang nehmen - vorläufiges Ende einer Reise, die nach Angaben der Geretteten letzten Mittwochabend an der Küste Libyens begonnen hat.
Mehrere von ihnen hatten später ihre Geschichte erzählt. Zum Ziel Europa aufgebrochen, hatte am nächsten Nachmittag der Motor schlappgemacht. Anrufe mit einem Satellitentelefon in Europa, um Retter zu alarmieren, dann stundenlanges Warten, die Nacht brach an. "Die Leute haben wieder zu weinen angefangen", berichtete einer der Überlebenden. Nichts zu essen oder trinken, die Batterien des Telefons erschöpft, er habe an den Tod gedacht.
Eine sehr schwierige Rettung
Gegen neun Uhr am Donnerstagabend wurden sie gefunden. Die "Ocean Viking" hatte den Notruf auf Umwegen erhalten und war zur Hilfe geeilt. Eine sehr schwierige Rettung, urteilte SOS-Méditerranée-Einsatzleiter Nicholas Romaniuk: die Gefahr des Kenterns, die Dunkelheit. Die erste Schwimmweste in dem überfüllten Holzboot bekam ein wenige Monate altes Baby.
Auch dieser kleine Junge ist bei der Verkündung des sicheren Hafens nun dabei. Seine Mutter ist mit ihm aus dem für Frauen und Kinder reservierten Container herübergekommen. Ein paar Minuten hat die Ansprache gedauert, dann will "Ärzte-ohne-Grenzen"-Einsatzleiter Vimard feiern. Der Franzose packt sein Schifferklavier aus, spielt ein selbstersonnenes Lied. Die Geretteten klatschen sofort mit, einer steht auf, dann noch einer, bald hält es kaum noch einen auf dem Boden. Im Container wird getanzt, gepfiffen und gejubelt, im Rhythmus der Musik und der Wellen.
Sizilien kommt in den Blick
Tatsächlich ging es schnell diesmal. Bei früheren Einsätzen auf der "Aquarius" oder der im Sommer in Dienst gestellten "Ocean Viking" mussten die Crews von SOS Méditerranée und "Ärzte ohne Grenzen" meist tage- oder wochenlang auf das Anlanden warten, ähnlich wie andere private Seenotretter. Mit manchmal viel mehr Menschen an Bord, Verletzten und Kranken.
Er sei sehr froh, dass die Überlebenden relativ schnell an Land gebracht werden könnten, sagte Romaniuk dem Evangelischen Pressedienst (epd) an Bord. Würde das zur Regel, so wären das "fantastische Neuigkeiten".
Am Mittwochvormittag ist es wolkig, der Wind hat aufgefrischt, Sizilien kommt in den Blick. Im Hafen von Pozzallo stehen Polizisten, weitere Behördenvertreter, Absperrgitter und Krankenwagen am Kai. An Bord kommen die Männer in Gruppen zusammen, manche bilden einen Kreis. "Glücklich", sagt ein Geretteter aus Bangladesch auf die Frage, wie er sich fühle. Dass in Europa nicht gekämpft werde, sei für ihn das Wichtigste, erklärt ein anderer aus Mali und lächelt.
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