Berlin, La Paz (epd). In Bolivien hat sich die Senatorin Jeanine Añez zur Präsidentin ausgerufen. "Ich übernehme ab sofort die Präsidentschaft, wie es die verfassungsmäßige Ordnung vorsieht", sagte die Oppositionspolitikerin am Dienstagabend (Ortszeit) im Parlament, wie die Tageszeitung "La Razón" berichtete. Añez versprach, binnen 90 Tagen Neuwahlen abzuhalten und das Land zu befrieden. Ex-Präsident Evo Morales war nach Massenprotesten sowie auf Druck des Militärs zurückgetreten. Der Sozialist reiste ins Exil nach Mexiko.
Añez rückte als bisherige Vizepräsidentin des Senats an die Spitze in der Staatsführung, weil neben Morales auch dessen Stellvertreter, die Präsidentin des Senats sowie der Präsident des Abgeordnetenhauses zurückgetreten waren. Die 52-jährige Añez ist Senatorin des Departments Beni im Nordosten des Landes. Vor ihrer Selbstausrufung zur Präsidentin waren zwei Versuche des Senats und des Abgeordnetenhauses gescheitert, eine Beschlussfähigkeit festzustellen, da nicht genug Parlamentarier anwesend waren. Die Abgeordneten von Morales' Partei "Bewegung des Sozialismus" (MAS) blockierten die Sitzungen.
So schnell wie möglich Neuwahlen
Morales nannte nach seiner Ankunft im mexikanischen Exil die Selbstproklamation von Añez zur Präsidentin ohne das notwendige Quorum im Parlament einen "schändlichen und raffinierten Putsch". Añez verletze damit die Verfassung und die Normen des Parlaments, schrieb er auf Twitter. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verabschiedete mehrheitlich eine Erklärung, dass so schnell wie möglich Neuwahlen in Bolivien abgehalten werden müssten.
Nachdem Añez das Präsidentenamt übernommen hatte, brachen am Regierungssitz La Paz und im benachbarten El Alto schwere Proteste aus. Anhänger von Morales zogen in Richtung Parlamentsgebäude und forderten den Rücktritt von Añez. Die Polizei setzte Tränengas ein und versuchte, die Menge auseinanderzutreiben. In Chapare, einer Hochburg von Morales, riefen Gewerkschaftsführer zu einer nationalen Mobilisierung gegen Añez auf. In der Oppositionshochburg Santa Cruz feierten die Menschen derweil die neue Übergangspräsidentin.
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