Flüchtlinge in Libyen: Hoffnungsort Internierungslager

epd-bild/Bettina Ruehl

Flüchtlinge in einem wilden Flüchtlingslager in der libyschen Hauptstadt Tripolis.

Sie sind folternden Milizen, Hunger und Elend ausgeliefert. Tausende Flüchtlinge in Libyen leben auf der Straße. Selbst der Schrecken der Internierungslager erscheint dadurch geringer.

Tripolis (epd). Mounir Abdallah setzte seine Hoffnung auf das Gefängnis. In einem der libyschen Internierungslager würde es ihm und seiner Familie vielleicht besser gehen. Natürlich hatte der Eritreer, der 2018 nach Libyen geflohen war, von Misshandlung und Folter dort gehört. "Aber ich habe keine andere Möglichkeit mehr gesehen, als mich mit meiner Familie freiwillig dort zu melden." Die Wangen des 27-jährigen Familienvaters sind eingefallen, seine Haare werden bereits grau.

Mounir ist einer von knapp 48.000 Flüchtlingen, die das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Libyen registriert hat. Die meisten schlagen sich irgendwie durch. Rund 5.000 Geflohene werden von der international anerkannten libyschen Regierung unter Ministerpräsident Fayez Al-Sarradsch in etwa 20 Internierungslagern festgehalten. Dort herrschten "KZ-ähnliche Verhältnisse", schrieb die deutsche Botschaft in Niger laut der "Welt am Sonntag" bereits 2017 an das Bundeskanzleramt und mehrere Ministerien.

Von Schleppern verkauft

In eins dieser Lager ging Mounir freiwillig im Februar oder März dieses Jahres. An den genauen Zeitpunkt könne er sich nicht mehr erinnern, erzählt er. Das Gefühl für Zeit ist ihm offenbar abhandengekommen in den Monaten, in denen er auf seinem Weg durch Libyen an unterschiedlichen Orten, auf unterschiedliche Weise und von unterschiedlichen Peinigern gequält wurde.

Mounirs Qualen begannen mit 21 Monaten Haft in Eritrea als Strafe für den ersten Fluchtversuch wegen des lebenslangen Militärdienstes. Schließlich gelang ihm die Flucht in den Sudan, und von dort aus 2018 inzwischen mit Frau und Kind weiter nach Libyen. Aber schon kurz hinter der Grenze "wurden wir von unserem Schlepper verkauft". Eine kriminelle Gang verschleppt die Familie nach Norden, in die Oase Zella. "Da fingen sie an, uns zu foltern und die Frauen zu vergewaltigen." Ihre Peiniger verlangen 3.700 US-Dollar Lösegeld für die Familie. Ihre Angehörigen in Eritrea brauchen fünf Monate, um wenigstens 3.000 Dollar aufzutreiben, mit denen sie die drei freikaufen können.

"Unsere Mittel sind begrenzt"

Die Freiheit endete bereits in Bani Walid, wo die junge Familie wieder von Kriminellen verschleppt wurde, wie der Eritreer schildert. Die Stadt knapp 200 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Tripolis ist mittlerweile für besonders grausame Foltercamps bekannt. Nach drei Monaten voller "unmenschlicher und grausamer Erfahrungen" kommen sie erneut frei, gegen die Zahlung von 6.000 Dollar. Mounirs Frau ist hochschwanger. Das UNHCR registriert sie erst beim Anblick ihres Zustands - und schickt sie dann mit leeren Händen weg.

"Unsere Mittel sind begrenzt", sagt UNHCR-Sprecherin Paula Esteban. Besonders wenig bleibe für Flüchtlinge, die nicht in Internierungslagern festgehalten würden, "weil dahin die ganze Aufmerksamkeit geht". Und damit ein Großteil des Geldes.

Zu wenig Geld, zu wenig Plätze

Das Hilfswerk hat für 2019 nur die Hälfte der für Libyen beantragten Gelder bekommen, rund 40 Millionen Dollar. Nur gut 1.600 Flüchtlinge bekamen finanzielle Hilfe, manche in Form monatlicher Zuwendungen, andre eine einmalige Zahlung. Von allem hat das UNHCR zu wenig: zu wenig Geld, zu wenig Plätze für ein Resettlement, der Umsiedlung in sichere Länder, zu wenig andere Lösungen. Und viele Landesteile sind wegen der Kämpfe und der Macht der Milizen für die Helfer unzugänglich.

Mounir erhält schließlich Geld nach der Geburt des Kindes, das nur dank der Hilfe wildfremder Libyer im Krankenhaus zur Welt kommen konnte. Allerdings reichen die umgerechnet etwa 180 Dollar vom UNHCR nicht für Unterkunft und Essen. Der junge Mann weiß keinen anderen Ausweg mehr, als mit seiner Familie in das Internierungslager von Kasr bin Gashir zu gehen, in der Nähe des internationalen Flughafens von Tripolis. Von den etwa 700 Gefangenen hätten viele Krätze gehabt, sagt Mounir. "Das Wasser war salzig, das Essen viel zu wenig und schlecht. Das Leben dort war unerträglich."

In die Freiheit gezwungen

"Wir fordern immer wieder, dass die Internierungslager geschlossen werden, weil die Verhältnisse unmenschlich sind", sagt UNHCR-Sprecherin Esteban. "Wir fordern mehr Resettlementplätze, mehr Geld für die Flüchtlinge, die auf sich selbst gestellt in den Städten leben."

Zu denen gehören auch Mounir und seine Familie wieder, in die Freiheit gezwungen durch den eskalierenden Bürgerkrieg. Am 23. April wurde ihr Lager von Kämpfern der "Libysch-Nationalen Armee" (LNA) des sogenannten Generals Khalifa Haftar überrannt, der von Osten aus eine Offensive gegen die Regierung startete. "Die Kämpfer schossen wahllos um sich." Mounir zeigt auf seinem Handy ein Video, das seine Worte untermauert. Die Wärter flohen bei den ersten Schüssen. Laut Ärzte ohne Grenzen gab es mehrere Tote, mindestens ein Dutzend Menschen wurden verletzt.

Seitdem schlagen sich Mounir und seine Frau in Tripolis durch, angewiesen auf Lebensmittel- und Kleidungsspenden von Libyern, die dem Elend der Flüchtlinge nicht tatenlos zusehen können. Das UNHCR findet weiter kaum Gehör.

 

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