Berlin, La Paz (epd). Tausende Menschen haben sich in La Paz unter einem Meer von Fahnen versammelt. "Bolivien sagt Nein", steht auf den zahlreichen Plakaten in der größten Stadt des Landes. In der Menge hebt der Präsidentschaftskandidat der oppositionellen Allianz CC, Carlos Mesa, die Faust. Seine Anhänger wehren sich gegen eine mögliche weitere Amtszeit des Sozialisten Evo Morales. Dagegen hatte sich 2016 in einem Referendum eine knappe Mehrheit der Bevölkerung ausgesprochen. Morales regiert das Andenland seit 13 Jahren - und stellt sich zur Wiederwahl.
Das Urteil des Referendums erkannte Morales nicht an. Er will den Wandel in Bolivien weiter vorantreiben und sein Erbe konsolidieren. Das Verfassungsgericht, besetzt mit regierungstreuen Richtern, urteilte, es sei sein "Menschenrecht", erneut kandidieren zu können. Jetzt führt der 59-jährige ehemalige Koka-Bauer die Umfragen an und hat Chancen, bis 2025 im Präsidentenamt zu bleiben. Aber es ist eng wie nie. Und auch seine bequemen Mehrheiten in beiden Parlamentskammern stehen auf der Kippe.
Wirtschaftlich im Aufschwung
In der Stadt Oruro, rund 250 Kilometer südlich vom Regierungssitz La Paz, beendet Morales seinen Wahlkampf unter Jubel. Für den Präsidenten vom Volk der Aymara ist es ein Heimspiel, er wurde in dem gleichnamigen Department im bolivianischen Hochland geboren. Hier verbrachte er seine Kindheit in bitterster Armut und schloss sich später der Gewerkschaftsbewegung an. Seine Popularität ist hier ungebrochen.
Punkten will er mit der Stabilität im Land. "Vor meinem Amtsantritt gab es fast jedes Jahr einen neuen Präsidenten", wiederholt er gerne in Interviews. Auch wirtschaftlich befindet sich das Land dank seltener Bodenschätze wie Lithium im Aufschwung. Rund vier Prozent Wirtschaftswachstum werden für dieses Jahr prognostiziert. Nachbarländer wie Argentinien oder Brasilien befinden sich dagegen in einer schweren Krise.
Ein Viertel der Bolivianer noch unentschlossen
Morales setzt deshalb alles daran, eine Stichwahl zu vermeiden. Dafür müsste er mindestens 40 Prozent der Stimmen und einen Vorsprung von zehn Prozentpunkten erreichen. Das könnte sehr eng werden. Derzeit liegt er in Umfragen bei knapp 39 Prozent der Stimmen. Sein wichtigster Gegenspieler Mesa vom bürgerlichen Bündnis "Comunidad Ciudadana" (Bürgerliche Gemeinschaft) hat stark aufgeholt und kommt auf über 28 Prozent. Der Drittplatzierte von insgesamt neun Kandidaten, der Konservative Óscar Ortiz, liegt bei acht Prozent. Bei einer Stichwahl würde sich die zersplitterte Opposition zusammenschließen und nach derzeitigem Stand gewinnen. Laut Umfragen ist ein Viertel der Bolivianer noch unentschlossen. Da in Bolivien Wahlpflicht besteht, ist ihr Votum entscheidend.
Für die Anhänger von Morales' "Bewegung für Sozialismus" (MAS) ist es selbstverständlich, dass der Präsident weitere fünf Jahre im Amt bleibt, um sein Programm zur Bekämpfung der Armut, der Stärkung des öffentlichen Gesundheitswesens und für eine bessere Bildung umzusetzen. Seit seinem Amtsantritt 2006 hat sich die Armut in Bolivien fast halbiert und das Pro-Kopf-Einkommen verdoppelt. Er ließ die Rechte und die Kultur der Ureinwohner in der Verfassung verankern. Gleichzeitig grassieren aber unter seiner Präsidentschaft Korruption, Vetternwirtschaft, die Verschwendung von Steuergeldern und ein zunehmend repressiver Kurs gegen Andersdenkende.
Ausverkauf der Bodenschätze
"Wenn die Opposition an den Präsidentenwahlen teilnimmt, erkennen sie doch meine Kandidatur an", sagt Morales zu der Rechtmäßigkeit einer weiteren Amtszeit. Dabei hatte Morales selbst 2010 eine neue Verfassung erarbeiten lassen, die für die Amtszeiten nach Inkrafttreten nur eine erneute Wiederwahl ermöglicht. Die Opposition warnt dagegen vor einem zweiten Venezuela. "Der Weg in den Autoritarismus verstärkt sich", sagt der 66-jährige Mesa, der von 2003 bis 2005 Präsident war.
Viele Bolivianer beklagen auch, dass Morales sich zwar als Bewahrer der Natur gibt, aber den Ausverkauf der Bodenschätze und die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes vorantreibt. Die verheerenden Waldbrände in der Region Chiquitanía vor ein paar Wochen sind durch Brandrodungen entstanden. Wie Brasiliens rechtsextremer Präsident Jair Bolsonaro lehnte auch Morales zunächst internationale Hilfe ab und spielte die Feuer als "normal" herunter. Erst als die Bevölkerung ihm Untätigkeit vorwarf und auf die Straße ging, lenkte er ein.
Neuen Kommentar hinzufügen