Mainz (epd). Nach dem türkischen Angriff auf Nordsyrien erwartet der Arzt und humanitäre Helfer Gerhard Trabert dramatische Folgen für das Gesundheitswesen in der Region. "Es wird katastrophal werden in den Flüchtlingslagern", sagte er am Donnerstag in Mainz dem Evangelischen Pressedienst (epd). Internationale Hilfsorganisationen müssten sich aus Sicherheitsgründen aus dem nördlichen Syrien zunächst zurückziehen, das örtliche Gesundheitswesen werde alle verfügbaren Ressourcen in die Frontregion schicken: "Jetzt werden alle Kräfte zusammengezogen, um die Verletzten zu versorgen." Eine Behandlung von Alltagserkrankungen werde dadurch kaum noch möglich sein.
Alle Erfolge beim teilweisen Wiederaufbau des Gesundheitswesens seien nun in Gefahr, durch Luftangriffe oder "deutsche Leopard-Panzer" zerstört zu werden. Traberts Mainzer Verein "Armut und Gesundheit in Deutschland" hatte im vergangenen Jahr eine Diabetes-Ambulanz in der nordsyrischen Grenzstadt Kobane aufgebaut, deren Arbeit am Mittwoch nach Beginn der türkischen Militäroffensive eingestellt werden musste. Der Mainzer Mediziner hat den von den kurdisch dominierten "Demokratischen Kräften Syriens" (SDF) kontrollierten Nordosten des Landes selbst bereits sechs Mal besucht. "Natürlich habe ich Angst um diese Menschen", sagte er.
Er rechne mit einem langwierigen Guerilla-Krieg
In Kobane habe in den Wochen vor dem Start der türkischen Offensive die weit verbreitete Furcht vor einem neuen Krieg dazu geführt, dass die Zahl der Früh- und Fehlgeburten sich verdoppelt habe. Blutkonserven stünden nicht mehr zur Behandlung der in Syrien verbreiteten Mittelmeeranämie zur Verfügung, weil sie für Verwundete zurückgehalten würden. Ohne eine adäquate Behandlung mit Bluttransfusionen drohe aber bis zu 10.000 erkrankten Kindern ein vorzeitiger Tod innerhalb der kommenden 15 bis 20 Jahre.
Von Kontaktpersonen aus der Region habe er erfahren, dass es bereits zu Versorgungsproblemen und Benzinengpässen komme, sagte Trabert. Auch eine größere Fluchtbewegung, vor allem in Richtung Irak, sei jetzt zu erwarten. Die meisten Menschen in der nordsyrischen Rojava-Region seien aber fest entschlossen, ihre Heimat und das in den vergangenen Jahren aufgebaute basisdemokratische System zu verteidigen. Er rechne daher mit einem erheblich härteren Widerstand als beim türkischen Einmarsch in die ehemalige Kurdenregion Afrin im Nordwesten Syriens 2018 und mit einem langwierigen Guerilla-Krieg.
Im Nordosten Syriens leben schätzungsweise rund fünf Millionen Menschen, darunter 1,5 Millionen syrische Binnenflüchtlinge. Große Teile des früheren Gesundheitssystems waren in den Kämpfen zwischen der SDF-Miliz und der Terrororganisation "Islamischer Staat" zerstört worden.
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