Nairobi (epd). Die 21-jährige Patricia strahlt. Die Kenianerin hat sich gerade zwei Bücher gegönnt, obwohl die für ihre Verhältnisse nicht ganz billig waren: Rund 30 Euro hat sie für beide zusammen bezahlt. "Wenn ich kein Buch in der Hand habe, fehlt mir etwas", sagt die Musikstudentin. Am letzten Septemberwochenende war sie deshalb ganz in ihrem Element: In der kenianischen Hauptstadt Nairobi fand erstmals das "Macondo Literary Festival" statt. Thema des Festivals: Geschichte in der Literatur des afrikanischen Kontinentes.
"Macondo"-Gründerin Anja Bengelstorff hat sich für diesen Blickwinkel entschieden, weil "ich in der Beschäftigung mit der afrikanischen Geschichte in der englischsprachigen afrikanischen Literatur der letzten fünf bis zehn Jahre einen Trend gesehen habe". Die deutsche Journalistin lebt seit vielen Jahren in Kenia und hat das Festival zusammen mit der kenianischen Autorin Yvonne Owuor organisiert. Die junge Generation afrikanischer Literaten versucht laut Bengelstorff, "bestimmte Geschichtsbilder aufzubrechen und eine sehr speziell afrikanische Sichtweise auf bestimmte historische Ereignisse zu bringen".
"Neue Generation, die neue Fragen stellt"
"Es gibt eine neue Generation, die neue Fragen stellt", meint auch Yvonne Owuor. In politischen Abhandlungen finde sie auf diese Fragen keine Antworten. "Zum Glück suchen viele Menschen in der Literatur und der Kunst nach alternativen Möglichkeiten, Vorstellungen von sich selbst und von ihrem Platz in der Welt zu entwickeln". In der Literaturszene von Nairobi erkennt sie einen Hunger nach "ungewöhnlichen und überraschenden Geschichten".
Die Auseinandersetzung mit der afrikanischen Geschichte spielt auch in den Texten der 51-jährigen Owuor eine zentrale Rolle. In ihrem ersten Roman "Dust" (Deutscher Titel: "Der Ort, an dem die Reise endet") geht es um die Machtkämpfe nach der kenianischen Unabhängigkeit. In diesem Jahr ist ihr zweiter Roman erschienen: "The Dragonfly Sea". Darin beschäftigt sich die Kenianerin unter anderem mit der wachsenden wirtschaftlichen Präsenz Chinas auf dem Kontinent.
Zunahme historischer Themen
Die auffällige Zunahme historischer Themen in der zeitgenössischen afrikanischen Literatur ist kein Zeichen für die sehnsuchtsvolle Hinwendung nach Vergangenem, sondern dient im Gegenteil dazu, sich in der Gegenwart zu orientieren. "Wir können uns der Gegenwart nicht gewiss sein, wenn uns die Vergangenheit nicht klar ist", stellt Peter Kimani fest, einer der wichtigsten kenianischen Autoren. In seinem jüngsten Roman "Dance of the Jakaranda" beschäftigt er sich mit der britischen Kolonialzeit in Kenia.
Kimani erzählt die Geschichte von drei unterschiedlichen Männern, die am Bau der ersten Eisenbahn in Kenia beteiligt sind. Die Strecke führte von der kenianischen Küste bis nach Uganda. Die Briten erhofften sich davon den leichteren Abtransport von Rohstoffen aus dem Kontinent - für Kimani ein Vorläufer der Globalisierung.
Wunsch nach Selbstbestimmung
In seinem Roman wolle er die britische Hinterlassenschaft in Kenia neu darstellen, die sich nicht zuletzt in der anhaltenden wirtschaftlichen Dominanz der ehemaligen Kolonialmacht zeige, erläutert der Autor. Die Literatur sei dafür genau das richtige Medium, weil sie "in der heutigen Welt womöglich als einziger Freiraum übrig ist", während die Masssenmedien zunehmend von kommerziellen Interessen geleitet würden. "Ich glaube, dass sich deshalb immer mehr Menschen für Literatur interessieren. Sie sehen darin eine andere Möglichkeit, etwas zu erfahren."
Mit ihren historischen Romanen wenden sich die jüngeren afrikanischer Autorinnen und Autoren vor allem an das afrikanische und nicht mehr an das westliche Publikum. Und die Kolonialzeit ist nur noch eines unter vielen historischen Themen. "Der Kampf um die Unabhängigkeit war wichtig", sagt die simbabwische Autorin Novuyo Rosa Tshuma, "aber damit kann die Auseinandersetzung nicht aufhören". In ihrem Roman "House of Stone" - womit sie Simbabwe meint - geht es unter anderem um den Wunsch des Minderheitenvolkes der Ndebele nach Selbstbestimmung. Genährt wurde die Rebellion durch die Massaker der - von Shona dominierten - Regierung Robert Mugabes an den Ndebele im Jahr 1983. Dabei wurden etwa 20.000 Menschen ermordet.
Das Interesse auch junger Leser an solcher Literatur zeigt, dass die gesellschaftliche Rolle solcher Romane erkannt wird. "Ich weiß, dass viele Menschen immer wieder den Tod des Buches vorausgesagt haben", sagt Yvonne Owuor. "Aber ich würde auch für Geld wetten, dass Bücher nicht aussterben werden. In der industrialisierten Welt nicht, und ganz sicher nicht bei uns."
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