Tunis (epd). Es ist ein schmutziger Wahlkampf, den Tunesien gerade erlebt. Die 26 Kandidatinnen und Kandidaten für das Präsidentenamt kämpfen mit harten Bandagen. Manipulation von Unterschriftenlisten, Bestechlichkeitsvorwürfe und sogar die Festnahme eines Kandidaten, die mutmaßlich mit dem Wahlkampf in Verbindung steht, sorgen für ein angespanntes Klima in der politischen Szene.
Nach dem Tod von Staatspräsident Béji Caïd Essebsi Ende Juli wurden die eigentlich für November vorgesehenen Wahlen auf den 15. September vorgezogen. Auch wenn die Aufgaben des Präsidenten in dem semi-parlamentarischen System des Landes überschaubar sind, ziehen die Präsidentschaftswahlen deutlich mehr Aufmerksamkeit auf sich als die Anfang Oktober stattfindenden Parlamentswahlen.
Viele noch unentschlossen
Obwohl sich im Vorfeld viele vor allem junge Leute neu auf den Wählerlisten registriert haben, ist die Skepsis groß angesichts des unübersichtlichen Bewerberfelds. Viele Tunesierinnen und Tunesier haben sich auch kurz vor den Wahlen noch nicht entschieden, wem sie ihre Stimme geben wollen. Das Vertrauen in Politiker und staatliche Instanzen ist auch knapp neun Jahre nach dem politischen Umbruch und dem Ende der Diktatur gering. Für viele Wähler zählt daher vor allem, ob die Kandidaten vertrauenswürdig sind.
"Schauen Sie sich doch mal an, was aus Tunesien geworden ist!", empört sich die Hausfrau Samia aus einem Vorort der Hauptstadt Tunis. "Wir wollen wieder Sicherheit und eine funktionierende Wirtschaft." Samia will ihre Stimme Abir Moussi geben, einer von zwei Frauen im Rennen. Die Mittvierzigerin, Anwältin und ehemalige Vizevorsitzende der Partei des 2011 gestürzten Autokraten Zine El Abidine Ben Ali hofft auf die Stimmen derjenigen, die den politischen Umbruch für die Verschlechterung ihrer Lebenssituation verantwortlich machen.
Ermittlungen gegen Kandidaten
Medienwirksam um die Stimmen der Bedürftigen wirbt Nabil Karoui, ein Medienmogul mit Wohltätigkeitsverein. Dass er Ende August wegen Ermittlungen wegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung verhaftet wurde, scheint sich eher zu seinen Gunsten auszuwirken. Eine Sprecherin von Karouis Partei Qalb Tounes (Herz Tunesiens) sprach von einem "Schandfleck der demokratischen Entwicklung" des Landes.
Politikwissenschaftler und Politiker sehen in der Inhaftierung Karouis den Versuch von Regierungschef Youssef Chahed, einen aussichtsreichen Mitbewerber auszuschalten. Chahed wies den Vorwurf der Einflussnahme weit von sich. Die Verhaftung zum jetzigen Zeitpunkt sei im Gegenteil ein Beweis dafür, dass die Justiz unabhängig agiere.
Auf Weg der Demokratisierung
Seit der Verabschiedung der neuen Verfassung und den ersten regulären Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2014 folgt Tunesien im Großen und Ganzen den Schritten, die das neue Grundgesetz vorgesehen hat. Allerdings zieht sich die Umsetzung bei einer Reihe von Fragen seit Jahren hin, unter anderem bei der Schaffung eines Verfassungsgerichts. Der neue Präsident wird sich also unter anderem daran messen lassen müssen, inwiefern er die weitere Demokratisierung des Landes vorantreibt.
Tunesien gilt als einziges Land, das nach den Umbrüchen des Arabischen Frühlings 2011 eine demokratische Entwicklung genommen hat. Mehrere Kandidaten sprechen sich allerdings offen dafür aus, das politische System zu ändern. Sie machen die Meinungsverschiedenheiten zwischen Präsident und Parlament dafür verantwortlich, dass dringende politische Entscheidungen verschleppt werden. Andere sehen in dem Ansinnen einer Verfassungsänderung die Gefahr, dass das Land in ein autoritäres Präsidialsystem zurückfällt.
Prognosen schwierig
Während es bei den Wahlen 2014 relativ klar war, welche zwei Kandidaten ganz vorne mitspielen, sind Prognosen dieses Jahr deutlich schwerer. Das Kandidatenfeld ist ähnlich wie das Parlament zersplittert. Allein aus dem Lager der ehemals stärksten Partei Nidaa Tounes, die von dem verstorbenen Präsidenten Essebsi gegründeten wurde und inzwischen zerstrittenen ist, treten sieben Kandidaten an. Auch im linken und muslimisch-konservativen Lager buhlen mehrere Kandidaten um Zustimmung und werden sich im ersten Wahlgang gegenseitig Stimmen wegnehmen. Daher ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich in der Stichwahl Ende September oder Anfang Oktober zwei Kandidaten gegenüberstehen, die im ersten Wahlgang nur rund zehn bis fünfzehn Prozent der Stimmen geholt haben.
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