Berlin, Bogotá (epd). Ein Kampfaufruf früherer Rebellenführer hat in Kolumbien eine Debatte über die Zukunft des Friedensabkommens von 2016 entfacht. Der Chef der aus der Farc-Guerilla hervorgegangenen Farc-Partei, Rodrigo Londoño, erklärte, an dem Vertrag festhalten zu wollen. "In diesem Moment hat der bewaffnete Aufstand keine Zukunft", sagte Londoño der Zeitung "El Espectador" vom Montag (Ortszeit) zufolge. Er rief die ehemaligen Kämpfer dazu auf, sich nicht vom Fehler der "Deserteure des Friedens" verleiten zu lassen. Mehrere ehemalige Farc-Größen hatten vergangene Woche dazu aufgerufen, angesichts des stockenden Friedensprozesses den bewaffneten Kampf wieder aufzunehmen.
Trotz dieses Aufrufs rechnet der Lateinamerika-Experte Günther Maihold nicht mit der gänzlichen Aufkündigung des Abkommens zwischen Farc und Regierung. Aber die Behörden müssten zügig die "ernsthafte Umsetzung des Friedensvertrages" vorantreiben, sagte der stellvertretende Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. Dazu zählten die vereinbarte Landreform, die Versöhnungspolitik und Fragen der Restitution. Entscheidend sei auch die Sonderjustiz. Sie müsse schnell mit den Verfahren beginnen, "um bei der Bevölkerung das Rechtsgefühl zu stärken, dass Aufklärung betrieben wird", betonte Maihold.
Schwieriger Weg zum Frieden
Die Farc kämpfte als Guerilla seit den 60er Jahren gegen die Regierung und die extreme soziale Ungleichheit im Land. 2016 schlossen die beiden Kriegsparteien ein Friedensabkommen, das die Entwaffnung der Rebellen vorsah und die Umwandlung der Organisation in eine Partei. Viele der im Vertrag vorgesehenen Vereinbarungen sind bislang nicht oder nicht vollständig umgesetzt worden, viele ehemalige Kämpfer wurden getötet. Farc-Chef Londoño betonte, der Weg zum Frieden sei nicht leicht. Aber die einzige Weise seine Ziele zu erreichen, sei, das Vertrauen der Mehrheit der Kolumbianer zu erlangen. Was nicht in einem halben Jahrhundert des Kampfes erreicht worden sei, werde viel weniger durch eine kleine Gruppe verwirrter Leute zu erreichen sein, sagte er mit Blick auf die Abweichler.
Präsident setzt auf das Militär
Der kolumbianische Präsident Iván Duque hatte nach dem Aufruf zur Rückkehr an die Waffen Militäraktionen angekündigt. Eine eigens geschaffene Spezialeinheit werde die Farc-Kämpfer verfolgen, hatte der konservative Politiker erklärt. Davon hält Forscher Maihold nichts. "Damit ist das Problem nicht gelöst." Die Reaktion Duques entspreche aber dem "typischen Muster". Sie sei Ausdruck dafür, "dass er mit seiner Politik so nicht weitermachen kann". Zum Kampf aufgerufen haben unter anderen die ehemaligen Farc-Anführer Iván Márquez und Jesús Santrich, die beide eine entscheidende Rolle bei den Friedensverhandlungen spielten. Es sei auffällig, dass die Abspaltung in die historische Führungsgruppe der Farc hineinreiche. "Das macht deutlich, dass es innerhalb der Farc starke Spannungen gibt", sagte Maihold. In dem Krieg zwischen Regierung, mehreren Rebellengruppen und paramilitärischen Todesschwadronen wurden seit den 60er Jahren mehr als 260.000 Menschen getötet. Etwa 80.000 Kolumbianer werden noch vermisst, und rund sieben Millionen wurden vertrieben.
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