Dubai, Neu-Delhi (epd). Im indischen Teil Kaschmirs herrscht nach Abschaffung des Sonderstatus durch die indische Regierung weiter der Ausnahmezustand. Eine weitreichende Kommunikationssperre, Versammlungsverbot und Ausgangsbeschränkungen legten auch am Dienstag das Alltagsleben in der mehrheitlich von Muslimen bewohnten Region lahm, wie indische Medien berichteten. Gleichzeitig debattierte das Parlament in Neu-Delhi den umstrittenen Reorganisierungsplan für den bislang autonomen Bundesstaat Jammu und Kaschmir, der nun voll in Indien integriert werden soll.
Innenminister Amit Shah erklärte vor dem Unterhaus, Kaschmir sei ein "integraler Teil von Indien". Die Opposition warf der Regierung dagegen eine Verletzung der Verfassung vor. "Diese Nation fußt auf ihren Menschen, nicht auf Stücken von Land", erklärte der Abgeordnete Rahul Gandhi von der oppositionellen Kongresspartei. Der kaschmirische Parlamentarier Mir Fayaz kritisierte, die Entscheidung habe Kaschmir in ein "Freiluftgefängnis" verwandelt.
Sonderstatus ersatzlos gestrichen
Die indische Regierung hatte am Montag den seit 1949 in der Verfassung verankerten Sonderstatus von Kaschmir ersatzlos gestrichen und damit das auch von Pakistan beanspruchte Gebiet im Himalaya ins Chaos gestürzt. Zuvor hatte die Regierung Tausende Pilger, Touristen und Studenten aufgefordert, das Kaschmir-Tal verlassen.
Schulen, Universitäten und Verwaltungen waren auch am Dienstag geschlossen, Telefonleitungen und Internetverbindungen unterbrochen. Wichtige kaschmirische Politiker - darunter auch die ehemaligen Regierungschefs Mehbuba Mufti und Omar Abdullah - blieben weiter unter Hausarrest. Indien hat in den vergangenen Tagen rund 46.000 weitere Sicherheitskräfte in Kaschmir stationiert.
Die indische Verfassung sicherte der Region bislang in Artikel 370 weitgehende Sonderrechte zu: Unter anderem war der Bundesstaat Jammu und Kaschmir berechtigt, seine eigene Verfassung zu haben. Außerdem durften nur Menschen aus Kaschmir im Himalaya-Tal Land erwerben und sich dort ansiedeln. Auch wenn die Autonomie des Bundesstaates in den letzten Jahrzehnten immer weiter ausgehöhlt wurde, hat sie einen enormen symbolischen Wert für die Bevölkerung.
Zankapfel zwischen Indien und Pakistan
Der Sonderstatus galt als ein klares Bekenntnis zu einem säkulären Indien, in dem viele Religionen gleichberechtigt haben. Dafür hatten sich Staatsgründer und Unabhängigkeitskämpfer wie Mahatma Gandhi und Jawaharlal Nehru eingesetzt, als Gegenmodell zur religiös motivierten Staatsgründung von Pakistan. Viele Kaschmirer befürchten, dass mit der Aufhebung des Sonderstatus die Region "hinduisiert" werden soll. Die im April und Mai wiedergewählte BJP-Regierung von Ministerpräsident Narendra Modi war mit dem Wahlversprechen angetreten, Kaschmir voll im mehrheitlich hinduistischen Indien zu integrieren.
Das mehrheitlich muslimische Kaschmir ist seit sieben Jahrzehnten ein Zankapfel zwischen Indien und Pakistan, die beide jeweils nur einen Teil des Gebietes verwalten. Als Grenze dient die Waffenstillstandslinie von 1949, die international nicht anerkannt ist.
Heftige Reaktionen in Pakistan
Der überraschende Schritt der indischen Regierung, den Autonomie-Status zu beenden, hat entsprechend heftige Reaktionen in Pakistan ausgelöst, das die Entscheidung als "illegal" bezeichnete. Die beiden verfeindeten Atommächte haben bereits mehrere Kriege um Kaschmir geführt.
Separatisten im indischen Teil Kaschmirs kämpfen seit Jahrzehnten für die Unabhängigkeit. Die Entscheidung der indischen Regierung dürfte zu einer neuen Welle von Protesten und Unruhen führen. Indien unterhält eine massive Polizei- und Militärpräsenz in dem umstrittenen Himalaya-Gebiet und wird wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen dort kritisiert. Schätzungen gehen von mehr als einer halben Million Sicherheitskräften aus. Der Bundesstaat hat 12,5 Millionen Einwohner.
Das Vorgehen der indischen Regierung spaltet zudem den alten Bundesstaat Jammu und Kaschmir in zwei Teile. Das mehrheitlich buddhistische Ladakh im Nordwesten Kaschmirs, das kulturell und historisch eng mit Tibet verbunden ist, wird zu einem eigenes Bundesstaat.
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