Rettung dringend gesucht

epd-bild/Hermiine Poschmann/Mission Lifeline
Das Rettungsschiff "Lifeline" im Mittelmeer
Die Gefahr des Ertrinkens hält Flüchtlinge nicht davon ab, von Libyen aus die Meerespassage nach Europa anzutreten. "Die Leute fliehen, weil sie es einfach nicht mehr in Libyen aushalten", sagt ein Sea-Watch-Sprecher.

Rom, Berlin (epd). Auch nach dem tragischen Unglück vor der Küste Libyens mit bis zu 150 Toten rechnen Hilfsorganisationen mit einer steigenden Zahl von Bootsflüchtlingen auf dem Mittelmeer. Allein in der Nacht zum Freitag fing die libysche Küstenwache mindestens drei weitere Boote mit insgesamt 200 Flüchtlingen ab und brachte die Menschen zurück in die Küstenstädte Tripolis, Al-Chums und Suwara, wie das libysche Büro des UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR am Freitag mitteilte. Die Aufklärungsflugzeuge der privaten Seenotretter Sea-Watch entdeckten Sprecher Oliver Kulikowski zufolge zehn Boote. "Die Leute fliehen, weil sie es einfach nicht mehr in Libyen aushalten", sagt er.

Fischer hatten am Donnerstag 135 Menschen aus dem Meer gerettet, die in einem Holzboot mit bis zu 300 Menschen an Bord in Richtung Europa unterwegs waren. Offenbar war das Boot gekentert. Laut UNHCR schwammen manche an Land.

Laut "Ärzte ohne Grenzen" hätten Augenzeugen mindestens 70 Leichen im Meer gezählt. Sea-Watch geht von mindestens 100 Toten aus, die UN sprachen von 115 und 150 Toten, unter ihnen viele Frauen und Kinder. Die Flüchtlinge kamen überwiegend aus Eritrea und dem Sudan. Die Überlebenden seien in das Internierungslager Tadschura östlich von Tripolis gebracht worden, in dem Anfang Juli bei einem Luftangriff mindestens 50 Migranten ums Leben kamen, hieß es.

Guterres entsetzt

UN-Generalsekretär António Guterres äußerte sich entsetzt. "Wir brauchen sichere und legale Fluchtrouten für Migranten und Flüchtlinge", erklärte er. "Jeder Migrant, der ein besseres Leben sucht, verdient Sicherheit und Würde." UNHCR-Chef Filippo Grandi bekräftigte seine Forderung nach einer neuen Seenotrettung und einem Ende der Internierungslager in Libyen. "Gerade hat sich die schlimmste Mittelmeer-Tragödie in diesem Jahr ereignet", schrieb er. Europa müsse jetzt handeln, bevor es für viele weitere verzweifelte Menschen zu spät sei.

Von den privaten Seenotrettungsschiffen ist aktuell keines in der Region unterwegs. Die "Alan Kurdi" des Regensburger Vereins Sea-Eye wird voraussichtlich am Dienstag ihr Einsatzgebiet vor den libyschen Gewässern erreichen. Auf dem Weg ist außerdem die "Ocean Viking", das neue Schiff von "Ärzte ohne Grenzen" und SOS Méditerranée. Der Verein Mission Lifeline plant zum 1. August ein neues Schiff zu entsenden. Damit habe sich der Vorwurf, die privaten Seenotretter würden die Bootsfluchten nach Europa überhaupt erst anheizen, "einmal mehr als realitätsfern erwiesen", schrieb Sea-Watch auf Twitter.

Bedford-Strohm drückt aufs Tempo

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, betonte, die zivilen Schiffe retteten als einzige derzeit Menschen und versuchten sie, in einen sicheren Hafen zu bringen. Sie zu behindern und zu kriminalisieren müssen aufhören. Den von einigen EU-Staaten ins Auge gefasste Verteilmechanismus für Bootsflüchtlinge forderte er so schnell als möglich umzusetzen. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sprach sich in der "Augsburger Allgemeinen" (Samstagausgabe) für eine staatlich finanziere Seenotrettung aus.

Der UNHCR-Repräsentant in Deutschland, Dominik Bartsch, sagte dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland", bei dem Verteilmechanismus müsse klar sein, wie die Schiffbrüchigen aufgenommen würden, wo ein Asylverfahren durchgeführt werde und wie jene ohne Schutzstatus zurück in die Heimat gelangten. "Wenn die Länder erstmal bewiesen haben, dass ein solcher Mechanismus funktionieren kann, dann müsse es nicht mehr zu solch schrecklichen Unglücken kommen", sagte er. Nach Angaben des deutschen Innenministeriums stehen acht Staaten bereit, ein Beschluss soll im September fallen.

Laut UN sind in diesem Jahr bislang 36.670 Flüchtlinge und Migranten über das Mittelmeer nach Europa gekommen, rund 35 Prozent weniger als im selben Zeitraum 2018. Ums Leben kamen dabei zwischen Jahresanfang 2019 und dem 24. Juli bei der Überfahrt 686 Menschen. Bestätigen sich die Berichte über das jüngste Bootsunglück, steigt die Zahl der Toten auf über 800.

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