Freiburg (epd). "Die Gründung unabhängiger Staaten wurde den kolonialen Gesellschaften nicht zugestanden", sagte der 52-jährige Zeithistoriker dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Für viele Menschen in Asien und Afrika blieb selbst die Anerkennung ihrer Kriegsleistungen aus."
Laut Leonhard konnten Kolonialmächte wie Frankreich und Großbritannien den Ersten Weltkrieg aber nur deshalb gewinnen, weil sie auf unzählige Menschen und Güter aus den Kolonien zugreifen konnten. Kombiniert mit US-Präsident Woodrow Wilsons Versprechen auf mehr Selbstbestimmung habe dies dazu geführt, dass die Erwartungshaltung der Afrikaner und Asiaten an den Frieden sehr groß war. "Ein Problem von 1919 ist also die Entstehung von großen Erwartungen und eben auch Überforderungen an den Frieden", sagte der Professor für Neuere und Neueste Geschichte Westeuropas.
Die Enttäuschung über die Ergebnisse der Friedensverhandlungen löste laut Leonhard bei vielen Menschen in den Kolonien eine Radikalisierung aus. Der Blick auf die europäischen Mächte habe sich stark verändert. China sei ein Paradebeispiel für eine Gesellschaft, die sich vom Westen verraten fühlte und nach ideologischen Alternativen suchte, sagte Leonhard: "Der junge Mao Tse-tung gründete in diesem Kontext die Kommunistische Partei Chinas - und ist nur einer unter vielen Vertretern, die sich nach der Erfahrung von Paris 1919 dem bolschewikischen Modell zuwandten."
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