Bestürzung über Luftangriff auf Flüchtlingslager in Libyen

Chef der UN-Mission spricht von möglichem Kriegsverbrechen
Bei einem Luftangriff auf das Camp Tadschura bei Tripolis wurden Dutzende Zivilisten getötet und verletzt. Zum wiederholten Mal gerieten Migranten und Flüchtlinge im libyschen Bürgerkrieg ins Kreuzfeuer der Konfliktparteien.

Genf, Tripolis (epd). Ein Luftangriff auf ein Internierungslager für Flüchtlinge und Migranten in Libyen hat international Bestürzung ausgelöst. Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, erklärte am Mittwoch in Genf, Zivilisten dürften niemals ein militärisches Ziel sein. Bei dem Angriff auf das Lager Tadschura östlich der Hauptstadt Tripolis waren in der Nacht zum Mittwoch mindestens 44 Menschen getötet und mehr als 130 verletzt worden.

Der Leiter der UN-Mission in Libyen, Ghassan Salamé, sprach von einer feigen Tat. "Dieser Angriff kann ganz klar ein Kriegsverbrechen darstellen, da er völlig überraschend unschuldige Menschen tötete, die durch schlimme Umstände in diese Unterkunft gezwungen waren", sagte er. Es sei das zweite Mal, dass das Lager in Tadschura mit 600 Insassen angegriffen worden sei. Die international anerkannte Regierung unter Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch beschuldigte Milizen des abtrünnigen Generals Chalifa Haftar, für den Angriff verantwortlich zu sein. Haftar hatte eine Offensive auf Tripolis angekündigt.

Bedford-Strohm äußerte sich bestürzt über den Angriff

Das von Grandi geleitete Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die Internationale Organisation für Migration (IOM) verlangten eine unabhängige und vollständige Untersuchung des Angriffs. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Den Konfliktparteien sei die genaue geografische Lage des Camps bekannt gewesen. Zudem sei den Parteien klar gewesen, dass sich in dem Lager Zivilisten aufgehalten hätten.

Grandi erklärte, Libyen sei kein sicheres Land, in das Flüchtlinge zurückgeschickt werden dürften. Die willkürlichen Inhaftierungen dort müssten aufhören. Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, äußerte sich auf Facebook bestürzt über den Angriff. Er hoffe, dass Forderungen, Bootsflüchtlinge auf dem Mittelmeer nach Libyen zurückzuschicken, nun vom Tisch seien.

Mehrfach Angriffe auf Lager

"Ärzte ohne Grenzen" sprach von einer schrecklichen Tragödie, die leicht hätte vermieden werden können, und forderte die sofortige Evakuierung aller inhaftierten Migranten und Flüchtlinge aus Libyen. Zum Zeitpunkt des Angriffs seien in Tadschura mehr als 600 Männer, Frauen und Kinder gefangen gewesen, sagte der medizinische Leiter von "Ärzte ohne Grenzen" in Libyen, Prince Alfani: "Unsere Teams haben das Zentrum gerade gestern besucht und 126 Menschen in der Zelle gesehen, die getroffen wurde." Eine zweite Zelle für Frauen wurde den Angaben zufolge beschädigt. Ein Team der Nothilfeorganisation half beim Transport von Schwerverletzten in eine Klinik.

Die Überlebenden in Tadschura stünden Todesängste aus, sagte Alfani. Es sei nicht das erste Mal, dass Migranten und Flüchtlinge in Libyen ins Kreuzfeuer geraten seien. Seit Beginn des Konflikts zwischen der Regierung und den Milizen Haftars Anfang April habe es mehrfach Angriffe auf Lager oder in deren Nähe gegeben. Seitdem sind nach Angaben der Vereinten Nationen fast 100.000 Menschen auf der Flucht vor der Gewalt.

Verhältnisse in den Lagern unmenschlich

Die Verhältnisse in den Lagern werden als unmenschlich kritisiert. Allein in den Camps in und um Tripolis werden laut den UN rund 3.300 Flüchtlinge und Migranten festgehalten, darunter die Menschen in Tadschura. Die Festgehaltenen seien auch durch die Gefechte zwischen den Konfliktparteien gefährdet, hieß es.

Seit Jahresanfang konnten den Angaben zufolge mit Hilfe eines Programms der IOM mehr als 5.000 Migranten aus dem arabischen Land in 30 Heimatländer in Afrika und Asien zurückkehren. Nach dem Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi 2011 versank das rohstoffreiche Libyen in einem blutigen Chaos. Versuche der Vereinten Nationen, das Land zu befrieden, schlugen fehl.

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