Berlin, Genf (epd). Angesichts von mehr als 70 Millionen Flüchtlingen weltweit fordert UN-Hochkommissar Filippo Grandi von reichen Ländern mehr Unterstützung. Überwiegend arme Staaten hätten Flüchtlinge aufgenommen, während nur rund 16 Prozent in reichen Ländern untergekommen seien, sagte er bei der Vorstellung des Weltflüchtlingsberichts am Mittwoch in Berlin. Auch bei der Rettung von Flüchtlingen aus Libyen sei mehr Solidarität gefragt.
2018 überschritt die weltweite Zahl der Flüchtlinge erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg die Marke von 70 Millionen: Insgesamt 70,8 Millionen Männer, Frauen und Kinder suchten fern ihrer Heimat Schutz, wie aus dem Bericht des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) hervorgeht, der in Berlin und Genf vorgestellt wurde. Vermutlich seien sogar noch mehr Menschen auf der Flucht, denn von den vier Millionen geflohenen Venezolanern seien nicht alle erfasst, sagte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge. 2017 waren weltweit 68,5 Millionen Flüchtlinge gezählt worden.
Grandi lobte Bundeskanzlerin Merkel
Deutschland gehört zu den Ländern, die laut UNHCR 2018 am meisten Flüchtlinge beherbergten (1,1 Millionen). Die Regierung investiere in die Integration, gleichzeitig werde der 2015 entstandene Rückstau bei der Registrierung aufgeholt. Der Ort Berlin sei erstmals für die offizielle Vorstellung des Flüchtlingsberichts gewählt worden, weil Deutschland eine solch wichtige Rolle im Umgang mit der Flüchtlingskrise spiele, sagte Grandi. Ausdrücklich lobte er Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie habe 2015 Mut bewiesen, und er sei überzeugt, dass die Geschichte ihr Recht geben werde.
Mehr als die Hälfte der 70,8 Millionen Geflohenen sind laut dem Bericht Flüchtlinge im eigenen Land (41,3 Millionen). Zu den Flüchtlingen im Ausland zählen 5,5 Millionen Palästinenser und 20,4 Millionen, die unter dem Schutz des UNHCR stehen. Schließlich sind 3,5 Millionen Asylsuchende miterfasst.
"Konflikte ziehen sich länger und länger hin"
Jedes Jahr vor dem Weltflüchtlingstag am 20. Juni verkündet das UNHCR die aktuellen Zahlen zu Flucht und Vertreibung. Vor zehn Jahren, 2009, lag die Zahl der Geflohenen noch bei 43,3 Millionen Menschen. Viele von denen, die damals erfasst wurden, sind es bis heute: Ein Fünftel der erfassten Flüchtlinge harrt seit mindestens 20 Jahren fern der Heimat aus, vier von fünf Flüchtlingen tun dies seit mindestens fünf Jahren. "Konflikte ziehen sich länger und länger hin, wir scheinen die Fähigkeit verloren zu haben, Frieden zu schließen", warnte Grandi und machte den Dauerstreit im Sicherheitsrat dafür mitverantwortlich. "Die Lösung von Konflikten setzt internationalen Kooperationswillen voraus."
Die Dauerkonflikte spiegeln sich in den Herkunftsländern der Flüchtlinge wieder. Zwei Drittel aller Flüchtlinge stammten 2018 aus fünf Ländern, nämlich Syrien (6,7 Millionen), Afghanistan (2,7 Millionen), dem Südsudan (2,3 Millionen), Myanmar (1,1 Millionen) und Somalia (900.000).
Lager in Libyen gefährlich
Grandi wies darauf hin, dass die Lager in Libyen zu den gefährlichsten Orten für Flüchtlinge und Migranten auf der Welt gehörten. Ein humanitäres Evakuierungsverfahren der Vereinten Nationen bringe daher Flüchtlinge aus Libyen in den Niger, wo sie auf ihre Umsiedlung in ein anderes Land warten. Obwohl der Niger in Westafrika zu den ärmsten Staaten der Welt gehöre, beherberge er ein Transitzentrum, in dem maximal 1.500 Flüchtlinge gleichzeitig untergebracht sein dürften. Von dort aus müssten sie in ein anderes Land gebracht werden. Mehr Staaten müssten solidarisch sein und mitarbeiten, dass zumindest die am meisten schutzbedürftigen Flüchtlinge schnell umgesiedelt werden könnten, forderte er.
Nach UN-Angaben wurden über das Evakuierungsprogramm seit 2017 insgesamt 3.761 Menschen aus Libyen über den Niger in andere Länder oder direkt nach Italien gebracht. 56.000 Flüchtlinge und Asylsuchende seien in dem Konfliktland registriert, die Dunkelziffer liege vermutlich aber deutlich höher. Laut Grandi gehören Deutschland und Frankreich zu den aktivsten Ländern bei der Unterstützung des Evakuierungsprogramms. Im Mai hatte Merkel zugesagt, ein zweites Kontingent von 300 Härtefällen in Deutschland aufzunehmen.
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