Gefährliches Kräftemessen in Venezuela

epd-bild / Jürgen Vogt
Der venezolanische Präsident Nicolás Maduro
Noch nie stand der venezolanische Präsident Maduro so unter Druck. Bislang sichert ihm das Militär die Macht. Doch das südamerikanische Land könnte zum Spielball der Weltmächte werden. Die Angst vor einem Bürgerkrieg ist groß.

Berlin, Caracas (epd). Demonstrativ schaut der venezolanische Präsident Nicolás Maduro ins Fernrohr. Vor ihm stehen jubelnde Menschen, die meisten in Rot gekleidet, die Farbe der Revolution und der Regierungspartei PSUV. Die Opposition vereint derweil ebenfalls Massen hinter sich. "Der Machtwechsel steht kurz bevor", ruft Oppositionsführer Juan Guaidó seinen Anhängern zu - und erklärt sich selbst zum Übergangspräsidenten.

Venezuelas Gesellschaft ist auseinandergerissen. Keiner weiß, wie sich das politische Kräftemessen in den nächsten Wochen entwickelt. Doch so laut und geballt wie jetzt war der Ruf nach einem Sturz Maduros noch nie.

Proteste gegen Maduro gab es seit seinem Amtsantritt 2013 immer wieder, zuletzt wochenlang in Sommer 2017. Die Sicherheitskräfte gingen erbarmungslos vor, am Ende gab es mehr als hundert Tote. Aber der sozialistische Staatschef hielt immer noch die Fäden straff in der Hand. Jetzt ist die Situation anders.

Moralische Unterstützung

Nur wenige Minuten nach der Proklamation Guaidós erkannten die USA den 35-Jährigen als Übergangspräsidenten an. Wenig später folgten Kanada und zahlreiche lateinamerikanische Länder. Vor ein paar Tagen kamen rund 20 EU-Staaten hinzu - moralische Unterstützung für Guaidó.

Mittlerweile ist Venezuela von der internationalen Gemeinschaft weitgehend isoliert. Die treuesten Verbündeten bleiben Russland und China, zugleich die beiden wichtigsten Handelspartner. Venezuela, dessen Haushalt zu 90 Prozent vom Erdöl abhängt, und seine Gesellschaft könnten damit zum Spielball der Weltmächte werden.

Die Angst vor einem Bürgerkrieg schwingt bei vielen Menschen mit. Denn das südamerikanische Land ist hochmilitarisiert. Maduro ließ zwischen 2005 und 2017 allein aus Russland Rüstungsgüter im Wert von elf Milliarden Dollar kaufen. Hunderte kubanische Militärexperten sollen in Venezuela sein. Ebenso soll Russland Medienberichten zufolge mehr als hundert Söldner der russischen Sicherheitsfirma Wagner nach Venezuela geschickt haben. Moskau dementierte die Berichte, Experten halten sie aber für glaubwürdig.

Widerstand in den Kasernen

Noch steht die Militärführung treu zu Maduro - zumindest nach außen hin. Doch in den Kasernen regt sich Widerstand, nicht nur in den unteren Rängen. Vor kurzem schlug sich der Luftwaffengeneral Francisco Estéban Yánez Rodríguez auf die Seite der Opposition und erklärte, dass 90 Prozent der Streitkräfte nicht mehr hinter Maduro stünden. Ob die Zahl wirklich so hoch ist, kann nicht überprüft werden. Andererseits werden die Militärs ihre Interessen abwägen: Nur wenn sie wirklich sicher sein können, dass ihnen keine Haft droht und sie ihre Privilegien behalten, werden sie zur Opposition überlaufen. Allerdings sind eine Reihe von ihnen in Drogenhandel und Schmuggel verwickelt. Gegen mehrere Generäle wird zudem international ermittelt. Guaidó wird ihnen dabei kaum entgegenkommen können.

Der wirtschaftliche Druck wird unterdessen immer stärker: Anders als die europäischen Signale sind die jüngst von den USA verkündeten verschärften Sanktionen gegen das Maduro-Regime durchaus schmerzhaft. So dürfen US-Firmen zwar weiterhin venezolanisches Öl einkaufen, die Zahlungen müssen aber auf ein Sperrkonto eingehen. Damit soll sichergestellt sein, dass US-Raffinerien weiter betrieben werden können. Schon jetzt wirken sich die verschärften Sanktionen aus, wie die Tageszeitung "El Universal" berichtet. Für die USA ist klar, dass sie damit ins Herz der venezolanischen Wirtschaft getroffen haben. Hastig versucht Maduro jetzt, durch den Verkauf von Goldreserven an Devisen zu gelangen.

Wirtschaftskraft halbiert

Die Wirtschaftskraft in Venezuela hat sich in den vergangenen sechs Jahren halbiert, es gibt kaum Lebensmittel, das Gesundheitssystem ist kollabiert und die Gewalt in die Höhe geschnellt. 80 Prozent der Haushalte könnten sich nicht mehr verlässlich mit Nahrungsmitteln versorgen und zwölf Prozent der Menschen leiden an Unterernährung. Täglich flüchten rund 5.000 Menschen vor der Krise in die Nachbarländer Peru, Kolumbien und Brasilien.

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