Tunesier fürchten Heimkehr von Terrorverdächtigen

Kritik an fehlenden Programmen zur Deradikalisierung
Sami A. ist nur einer von mehreren Tausend Terrorverdächtigen aus Tunesien. Immer mehr kehren in ihre Heimat zurück oder werden zurückgeschickt. Sie gelten als Bedrohung für die Sicherheitslage - und für die junge Demokratie in Tunesien.

Tunis (epd). Rund 5.000 Tunesier, so schätzen die Vereinten Nationen, sind in den vergangenen Jahren nach Syrien und in den Irak gegangen, um an der Seite des sogenannten Islamischen Staates und anderer islamistischer Gruppierungen zu kämpfen. Das wären mehr als aus jedem anderen Land. Das Tunesische Institut für strategische Studien (ITES), ein Denkfabrik, die dem Präsidialamt nahesteht, hängt die Zahl mit höchstens 3.000 zwar niedriger - aber auch das ist enorm.

Immer mehr der islamistischen Nordafrikaner kommen nun in die Heimat zurück. Auf rund 160 bezifferte im Mai Sofien Sliti, Sprecher der tunesischen Staatsanwaltschaft, die offizielle Zahl der bisherigen Rückkehrer. Rund 90 Prozent von ihnen säßen in Haft oder würden per Haftbefehl gesucht. Der Bevölkerung in Tunesien, wo sich die Sicherheitslage nach drei schweren Anschlägen im Jahr 2015 wieder stabilisiert hat, bereitet das Sorge. Eine Rückkehr radikaler, im Waffengebrauch ausgebildeter Kämpfer, die womöglich unerkannt über die Landgrenzen von Libyen einreisen könnten, macht Angst.

"Man spricht oft von der Rückkehr, aber keiner thematisiert, wie diese Leute zurückkommen und wer sie sind", kritisiert der Politologe Hamza Meddeb vom Europäischen Hochschulinstitut Florenz. Die Profile der Personen und ihren Weg zu kennen sei jedoch notwendig, um entsprechend reagieren zu können. "Es macht doch einen wesentlichen Unterschied, ob sich zum Beispiel eine Familie beim tunesischen Konsulat in der Türkei meldet, weil sie in ihre Heimat zurückkehren will, oder ob jemand heimlich die libysch-tunesische Grenze überquert", betont er.

Keine klare Strategie

Experten bemängeln, dass die tunesischen Behörden keine klare Strategie im Umgang mit Extremisten hätten, die über repressive Sicherheitsmaßnahmen hinausgeht. "Die Koordination in der Terrorbekämpfung hat sich zwar in den letzten Jahren deutlich verbessert. Aber im Präventionsbereich fehlt es an einer klaren Linie", meint Meddeb.

Seit 2016 werden Extremisten im Gefängnis zwar nicht mehr mit anderen Strafgefangen zusammen in Zellen untergebracht, um zu verhindern, dass sie zum Beispiel Kleinkriminelle in Haft radikalisieren. Darüber hinaus gibt es jedoch keine größeren, koordinierten Programme zur Vorbeugung oder Deradikalisierung.

Menschenrechtsorganisation kritisieren unterdessen, dass die tunesischen Behörden unter Berufung auf die Terrorismusbekämpfung und mit Hilfe des Ausnahmezustandes, der seit dem politischen Umbruch 2011 fast durchgehend in Kraft ist, auch Bürger ins Visier nehmen, gegen die kein Strafverfahren läuft. Tausende Personen seien mit dem Vermerk S17 belegt, der die Bewegungsfreiheit in und außerhalb Tunesiens massiv einschränkt, beklagt Amnesty International.

Den Verhafteten indes drohen nach Kenntnis der Menschenrechtler Folter und Misshandlungen. Auch wenn nicht mehr systematisch gefoltert werde wie zur Zeit des ehemaligen Machthabers Zine El Abidine Ben Ali, seien auch nach dem politischen Umbruch noch Häftlinge an den Folgen von Misshandlungen gestorben.

Mögliche Foltergefahr

Seit zwei Jahren haben Häftlinge in Tunesien zwar bereits im Polizeigewahrsam ein Anrecht darauf, einen Anwalt zu konsultieren und ihre Familie über die Festnahme zu informieren. Außerdem dürfen Verdächtige seitdem nur noch zwei statt wie früher drei Tage festgehalten werden. Doch Human Rights Watch konstatierte erst Anfang Juni in einem Bericht, dass diese Änderung in der Praxis nur selten umgesetzt und die neuen Gesetz nicht systematisch angewendet würden.

In Deutschland sorgte in dem Zusammenhang zuletzt der Fall von Sami A. für Wirbel: Der mutmaßliche Ex-Leibwächter von Terrorchef Osama bin Laden wurde Mitte Juli nach Tunesien abgeschoben. Ein Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen, dass der Mann wegen möglicher Foltergefahr nicht in das nordafrikanische Land zurückgeschickt werden dürfe, wurde erst übermittelt, als das Flugzeug mit A. bereits unterwegs war. Die deutsche Justiz hat bekräftigt, dass die Abschiebung des als Gefährder eingestuften Mannes rechtswidrig war. Die Stadt Bochum, in der er zuletzt gelebt hatte, soll Sami A. nun nach Deutschland zurückholen.

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