Mehr Natur für das Mekong-Delta

Eine Frau arbeitet in einem Reisfeld.
Godong/Universal Images Group via Getty Images
Der Reisanbau hat das Mekong Delta über Jahrzehnte geprägt: Eine Frau arbeitet bei Can Tho in Vietnam.
Südostasien
Das Delta des Mekong in Vietnam wird intensiv landwirtschaftlich genutzt. Die Folgen der menschlichen Eingriffe in den Fluss und der Klimawandel machen nun aber naturnähere Wirtschaftsweisen notwendig.

Dieser  Text ist zuerst englisch auf der Online-Plattform  "YaleEnvironment360" erschienen. 

Noch vor Sonnenaufgang fahren wir von Can Tho, der Metropole des vietnamesischen Mekong-Deltas, Richtung Süden zu einer Aquakultur-Farm in der Küstenprovinz Cà Mau. Sie gilt als Beispiel dafür, wie die Bauern im Delta während der Trockenzeit das knappe Süßwasser erhalten. Die mehrstündige Fahrt führt durch die Region, die als Reisschüssel des Landes und auch als Zentrum der Aquakultur bekannt ist. Auffällig ist, dass jeder Zentimeter Land hier kultiviert oder bebaut ist. Häuser grenzen an Garnelenfarmen, Arbeiter verladen Stämme vom Australischen Teebaum auf Lastwagen. Schmale Straßen verlaufen neben Kanälen, die für die Bewässerung und den Transport angelegt wurden.

Doch was auf den ersten Blick wie ein landwirtschaftliches Paradies wirkt, ist alles andere als das. Die meisten Wasserwege sind ausgetrocknet, ihre Schlammböden liegen frei und sind rissig. Das ist für die Trockenzeit nicht ungewöhnlich, aber die Risse sind tiefer als je zuvor – ein Zeichen dafür, was die Region, in der 20 Millionen Menschen leben, seit Jahren belastet.

Flussaufwärts gelegene Staudämme, vor allem in China und Laos, haben zusammen mit dem Sandabbau im Flussbett dazu geführt, dass das Flussdelta deutlich abgesunken ist. Dadurch sind Tausende von Straßen und Gebäude umgeknickt oder eingestürzt. Gleichzeitig dringt mit dem Anstieg des Meeresspiegels und dem Rückgang des nachströmenden Süßwassers immer mehr Salzwasser ins Landesinnere; das gefährdet die Landwirtschaft, vor allem den Reisanbau.

Naturbasierte Lösungen gefragt

Die dramatische Lage im Mekong-Delta hat internationale Organisationen, Entwicklungsbanken, die vietnamesische Regierung, lokale Organisationen, Wissenschaftler und Landwirte zusammengebracht. Für Umweltinitiativen hier im Delta gibt es inzwischen mehr Hilfsmittel als für jede andere Region in Südostasien. Weithin besteht Einigkeit, dass naturbasierte Lösungen nötig sind – im Naturschutzjargon NBS –, die natürliche Prozesse nutzen, um Ökosysteme zu schützen oder wiederherzustellen. Typische NBS-Projekte sind Aufforstungen oder die Einrichtung von Schutzgebieten. „Wir müssen aufhören, die Natur zu bekämpfen“, erklärt Nguyen Huu Thien, ein Experte für Naturressourcen und freiberuflicher Berater in Can Tho. Wie aber lassen sich naturbasierte Lösungen in einer Region wie dem Mekong-Delta umsetzen, wo nur zwei Prozent des Landes unberührt sind, riesige Deiche den natürlichen Wasserfluss umleiten und das gesamte Ökosystem für landwirtschaftliche Nutzung verändert wurde? 

Der Bauer Tieu Hoang Pho hat einen Süßwasserteich angelegt, der von der salzigen Umgebung abgeschottet ist.

Der Mekong entspringt im tibetischen Hochland und durchquert sechs Länder, bevor er sich südlich von Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh in zwei Flüsse teilt. Beide Flussarme erreichen Vietnam, wo sie sich im Delta ausbreiten und ins Südchinesische Meer ergießen. Im 19. Jahrhundert beschrieben Geografen der Kolonialzeit das Delta als rauen und malariaverseuchten Ort. In den 1930er Jahren begannen die Franzosen, Deiche und Polder anzulegen, um Süßwasser in Gebiete zu leiten, in denen auch zur Trockenzeit Reis angebaut werden konnte. Reis übersteht kurze Trockenzeiten, benötigt aber die meiste Zeit stehendes Wasser, besonders während der kritischen Wachstumsphasen.

Doch erst in den 1980er und 1990er Jahren entwickelte Vietnam ein ausgedehntes Netz von Bewässerungskanälen, um mittels Reisanbaus seine Wirtschaft anzukurbeln. Um drei Mal im Jahr ernten zu können, legte man große Ringdeichsysteme an, die sowohl Süßwasser speichern als auch die Felder vor Überschwemmungen schützen sollten. 

Schäden durch Reis-Monokulturen

Die völlig auf den Reisanbau ausgerichtete Politik trug dazu bei, das vom Krieg zerrissene Land vor Hunger zu bewahren, und hat es zu einem großen Reisexporteur gemacht. Aber die künstlichen Eingriffe ins Delta haben auch den Wasserkreislauf drastisch verändert. Die hohen Deiche schützen zwar flussaufwärts die Ernten, erhöhen aber flussabwärts bei Hochwasser den Wasserstand. So kam es im Jahr 2000 zu einer Flutkatastrophe im Delta, bei der über 450 Menschen starben.

Auch am Oberlauf haben sich Probleme angehäuft. Dort blockieren am Hauptarm des Mekong große Dämme für Wasserkraftwerke den Fluss von Sedimenten wie Sand und Ton, die sonst flussabwärts geschwemmt würden und zur Regeneration des Deltas beitragen könnten. 

Autor

Stefan Lovgren

Stefan Lovgren forscht an der Universität von Nevada in Reno (USA) am Projekt „Wonders of the Mekong“. Er ist Mitautor des Buches Chasing Giants: In Search of the World's Largest Freshwater Fish.

Die vietnamesische Regierung hat nach und nach erkannt, dass der intensive Reisanbau der Umwelt schadet und auch wirtschaftliche Nachteile hat. Sie begann, für eine Abkehr von Reis-Monokultur und für eine Diversifizierung der Landwirtschaft einzutreten, zu der Aquakultur und Obst- und Gartenbau gehören. 2017 wurde ein Gesetz zur nachhaltigen Bewirtschaftung und Erhaltung der natürlichen Ressourcen verabschiedet. „Die Regierung hat erkannt, wie wichtig es ist, mit der Natur in Einklang zu bleiben“, sagt Van Pham Dang Tri, Direktor des Forschungsinstituts für Klimawandel an der Universität Can Tho.

Der Bauernhof, den wir besuchen, liegt im Bezirk Phu Tan nahe der Küste und gehört Tieu Hoang Pho. Er ist hier aufgewachsen und arbeitet für eine staatliche Agentur für Wissenschaft und Technologie. Wie alle Bauern hier züchtet Pho Garnelen in Teichen, die mit Salzwasserkanälen verbunden sind. Aber er hat auch einen Süßwasserteich angelegt, der von der salzigen Umgebung abgeschottet ist. Das Süßwasser sammelt er während der Regenzeit und nutzt es in der Trockenzeit für die Zucht von Süßwasserfischen. Um den Teich herum gedeiht Obst wie Kokosnuss, Jackfrucht, Banane, Mango und Durian. 

Pho steigt von einer Leiter herab und hält einige Pflaumen in der Hand. „Dieses Modell, auf viele Arten Wert zu erzeugen, können Haushalte ohne teure Infrastruktur nachahmen“, sagt er. Bald werde er auch noch Wasserhyazinthen kultivieren, die für alles Mögliche verwendet werden könnten, etwa als Tierfutter oder als Material für das Flechthandwerk.

Viele internationale Projekte fördern die Wiederbelebung landwirtschaftlicher Praktiken, die sich natürliche Überschwemmungen zunutze machen, etwa die Lotuszucht oder eine Kombination von Nassreis, der auf überschwemmten Flächen gedeiht, mit Fischzucht. Solche Methoden haben sich als viel rentabler erwiesen als reine Reis-Monokulturen. 

„Man hält Fluten oft einfach für schlecht, weil es viel leichter ist, ihren Schaden zu berechnen als ihren Nutzen“, sagt Marc Goichot, der für den World Wildlife Fund WWF zu Süßwasser in Asien arbeitet. „Aber Fluten haben viel Nutzen – sie spülen etwa Bodenverschmutzungen weg, bringen Nährstoffe und füllen das Grundwasser auf.“

Die Schleusen öffnen

Laut Fachleuten kann man mit einfachen Anpassungen der wasserwirtschaftlichen Infrastruktur wie dem Öffnen von Schleusentoren im Fluss- und Kanalnetz das natürliche Hochwasserregime nachahmen. Schleusen zu öffnen, statt sie zum Schutz vor Salzwasser geschlossen zu halten, könnte unter anderem Fischen helfen, aus den Flusskanälen in die Überschwemmungsgebiete zu gelangen, wo sie sich ernähren und fortpflanzen könnten. „Heute findet man in den intensiven Reisanbaugebieten kaum noch einen Fisch“, sagt Andrew Wyat von der Unterregion Lower Mekong der Naturschutzorganisation International Union for the Conservation of Nature. 

Einige Experten sehen das Mekongdelta als Musterbeispiel, wie man damit Naturprozesse nachahmen kann. „Will man ein ganzes sozio-ökologisches System wie das Mekong-Delta wiederherstellen, das durch menschliches Wirtschaften im Kern bedroht ist, dann muss man über die bloße Erneuerung der örtlichen Vegetation hinausdenken“, sagt Rafael Schmitt. Er befasst sich seit langem mit Staudämmen und der Sedimentproblematik am Mekong und ist der leitende Wissenschaftler des Natural Capital Project der Stanford University.

Obwohl sich die vietnamesische Regierung für umweltpolitische Maßnahmen ausspricht, halten laut Beobachtern einige Beamte an traditioneller, rein auf Reis ausgerichteter Landwirtschaft im Delta fest. So haben Projekte wie das 129 Millionen Dollar teure doppelte Schleusentor Cai Lon-Cai Be, das das Eindringen von Salzwasser verhindern soll und 2021 fertiggestellt wurde, viel Kritik auf sich gezogen. Gegner hegen den Verdacht, dass seine Unterstützer von wirtschaftlichen Interessen motiviert waren statt vom Anliegen der Nachhaltigkeit. 

Überall im Delta verfallen Straßen und andere Infrastruktur. Das Land senkt sich bis zu viermal schneller ab, als der Meeresspiegel steigt. Studien zeigen, dass flussaufwärts gelegene Staudämme bis zur Hälfte der Sedimente des Mekong zurückhalten, die sonst das Delta erreichen und wieder anreichern würden. Und mit dem Abbau von Sand, der im Baugewerbe und in der Industrie verwendet wird, wird fünf- bis neunmal mehr entnommen, als jährlich im Delta abgelagert wird.

Es gibt keine einfachen naturbasierten Lösungen für den Verlust von Sand und Sedimenten. Aber die Verfahren können laut Fachleuten verbessert werden. So könnten Dämme an Stellen gebaut werden, an denen sie weniger Schaden anrichten, und Sand könnte dort entnommen werden, wo er für die Stabilität des Bodens weniger wichtig ist.

Wichtige Mangrovenwälder

Ein besserer Fluss von Sand und Sedimenten ist auch für die Mangrovenwälder wichtig, deren Wiederherstellung eine entscheidende Rolle dabei spielt, die Erosion der Küsten aufzuhalten und natürliche Barrieren gegen Sturmfluten zu errichten. Aber viele Mangrovenwälder Vietnams wurden im Krieg der USA gegen Vietnam bis 1975 durch den Einsatz von Agent Orange zerstört. An anderen Stellen des Deltas haben vorgelagerte Felsbarrieren, die zum Schutz der Küsten vor großen Wellen errichtet wurden, die Wasser- und Stranddynamik so verändert, dass Mangrovenwälder weggeschwemmt wurden.

Im Delta gibt es inzwischen mehrere Projekte zur Wiederherstellung der Mangrovenwälder, aber die Arbeit wird auch hier dadurch erschwert, dass weniger Sedimente vom Fluss ins Delta gelangen. „Mangroven müssen genügend Sediment abfangen, um ihr Wurzelsystem aufzubauen“, sagt Schmitt. „Mangrovenbäume dort zu pflanzen, wo es kein Sediment gibt, ist Zeitverschwendung.“

Zurück in Can Tho sagt Thien, der Berater, dass die Zeiten vorbei sind, in denen man ohne Rücksicht auf die Natur planen und bauen konnte. „Früher wollten wir die Natur unbedingt erobern. Wir haben nicht eine Minute darüber nachgedacht, wie sie funktioniert“, sagt er. „Jetzt fangen wir wenigstens an, Naturgesetze zu achten. Es geht in die richtige Richtung.“

Aus dem Englischen von Barbara Erbe. 

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