Afrika braucht eine grüne Revolution, die nicht nur auf neue Pflanzensorten setzt
Von Tillmann Elliesen
Agrarforschung kann helfen, die landwirtschaftliche Produktivität zu steigern – allerdings nur, wenn sie von den wirklichen Problemen der Bauern ausgeht und deren Kenntnisse berücksichtigt. Verbessertes Saatgut allein reicht nicht, stellt der im April vorgelegte Bericht des Weltagrarrates fest. Vor allem die Rolle der grünen Gentechnik war innerhalb des Rates umstritten.
Am Ende schmissen die beteiligten Industrievertreter frustriert hin. „Wir waren enttäuscht“, schreibt Deborah Keith vom Schweizer Saatgut- und Biotechnologiekonzern Syngenta in einem Beitrag für die Zeitschrift „New Scientist“. Vier Jahre lang habe sie engagiert am Bericht des so genannten Weltagrarrates mitgearbeitet (siehe Kasten auf S. 18). Trotzdem spiegele das Papier nur unzureichend den Beitrag der wissenschaftlichen Pflanzenzüchtung zu einer nachhaltigen Landwirtschaft. Keith und ihre Kollegen vom Industriedachverband „Crop Life International“ verließen deshalb die Beratungen kurz vor der Fertigstellung des Berichts.
Hans Rudolf Herren kann diese Kritik nicht nachvollziehen. „Der Bericht würdigt die Rolle von Technologie durchaus“, sagt der 60-jährige Schweizer Biologe und Landwirtschaftsexperte, der die Stiftung BioVision in Zürich und das Millennium-Institut in Washington leitet. „Zum Beispiel kann das biotechnologische Verfahren der Marker-gestützten Pflanzenzucht, bei dem Züchtungen rasch nach erwünschtem Erbgut selektiert werden können, schnell zu verbessertem Saatgut beitragen.“
Enttäuscht waren die Industrievertreter wohl vor allem deshalb, weil der Weltagrarrat den potenziellen Beitrag von gentechnisch veränderten Nutzpflanzen im Kampf gegen Hunger und Armut eher gering einschätzt. Und hier äußert sich auch Herren skeptisch. Auf großen Flächen könne man mit gentechnisch veränderten Pflanzen vielleicht billiger produzieren, aber den Kleinbauern in Entwicklungsländern bringe das wenig. Zudem, so Herren, würden angekündigte Innovationen wie mit Vitaminen oder Mineralien angereicherte Pflanzen wieder nur die Symptome, nicht aber die Ursachen von Schwächen der Landwirtschaft vor allem in Afrika behandeln. „Das steht so auch im IAASTD-Bericht, und das hat der Industrie nicht gefallen.“
Dabei ist Herren, einer der für den Bericht mitverantwortlichen Ko-Präsidenten des Weltagrarrates IAASTD, alles andere als ein romantischer Anhänger von „traditioneller“ Landwirtschaft. Von 1979 bis 2005 arbeitete er am Internationalen Institut für tropische Landwirtschaft in Nigeria sowie als Leiter des Institutes für Insektenphysiologie und Ökologie in Nairobi. 1995 erhielt er den Welternährungspreis und gründete mit dem Preisgeld die Stiftung BioVision, die sich für ökologische Methoden zur Verbesserung der Landwirtschaft in Afrika einsetzt.
„Traditionelles Wissen ist gut, hat aber seine Grenzen“, sagt Herren. „Lokale Kenntnisse müssen deshalb mit Wissenschaft, Forschung und Technologie verbunden werden.“ Das ist der Ansatz, für den sich der Weltagrarrat ausspricht. Als Beispiel nennt Herren die so genannte Push-Pull-Technik zur Schädlingsbekämpfung im Maisanbau: Bauern bebauen die Ränder ihrer Maisfelder mit Pflanzen, die Schädlingsinsekten anziehen und so vom Mais fernhalten („pull“). Zwischen den Maisstauden bauen sie andere Pflanzen an, die die Schädlinge abstoßen („push“) und gleichzeitig deren natürlich Feinde anlocken. Diese Technik, so Herren, beruhe auf lokalen Kenntnissen und sei wissenschaftlich verbessert worden.
Agrarforschung zum Nutzen der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern ist deshalb wichtig und sollte nach Ansicht von Herren stärker gefördert werden. Das ist die Aufgabe der öffentlich finanzierten internationalen Agrarforschungsinstitute wie des Instituts für tropische Landwirtschaft in Nigeria, des Kartoffel-Instituts in Peru oder des Reisforschungsinstituts auf den Philippinen. Allerdings seien diese Institute, die in der Beratungsgruppe für internationale Agrarforschung (CGIAR) vereint sind, in den vergangenen Jahren zunehmend von ihrem Auftrag abgekommen. „Eigentlich sollten die CGIAR-Institute strategisch forschen und Wissenschaftler ausbilden, um die Kapazitäten nationaler Forschungseinrichtungen zu stärken“, sagt Herren. Doch stattdessen hätten sie sich mehr und mehr auf die Anwendung von Forschung konzentriert – auch weil die Geber schnelle Ergebnisse sehen wollten. Immerhin: In jüngster Zeit schlage das Pendel wieder etwas zurück, die Institute kümmerten sich wieder mehr um die Ausbildung von Wissenschaftlern und die Zusammenarbeit mit nationalen Einrichtungen. Allerdings kooperieren sie laut Herren noch immer nicht genügend mit lokalen Universitäten, wo die nächste Generation von Agrarwissenschaftlern herkommen werde.
Ein Fazit aus den vierjährigen Beratungen des Weltagrarrates lautet, dass in den vergangenen Jahrzehnten Landwirtschaft weltweit auf Kosten des landwirtschaftlichen Kapitals betrieben wurde – der Böden. „Im Norden haben wir die Böden mit zu viel Kunstdünger kaputtgemacht, und im Süden haben wir zuviel aus ihnen herausgeholt, ohne in sie zu investieren – Dünger oder Kompost zum Beispiel“, sagt Herren. Natürlich müsse Afrika seine landwirtschaftliche Produktivität steigern, aber dazu müsse es erst einmal seine Böden wieder aufbauen. Herren: „Ja, Afrika braucht eine grüne Revolution – aber grün im Sinne von ökologisch, nicht im Sinne der ersten grünen Revolution, die sehr eng auf die Züchtung von Hochleistungssorten und den Gebrauch von Dünger und Pestiziden gesetzt hat.“
Das Problem mit der Biotechnologie besteht für Herren häufig darin, dass sie erst Instrumente entwickelt und dann fragt, was man damit machen könnte. Der richtige Weg sei aber umgekehrt: Welche Probleme hat die Landwirtschaft in Entwicklungsländern heute und wie können diese behoben werden? Der Weltagrarrat geht in seinem Bericht diesen Weg und kommt zu dem Ergebnis, dass viele Probleme gesellschaftliche oder politische Ursachen haben – etwa wenn Bauern unsichere Landrechte oder keinen Marktzugang haben.
Tillmann Elliesen ist Redakteur von „welt-sichten“.
Der Weltagrarrat und sein Abschlussbericht
„Weitermachen wie bisher ist keine Option mehr.“ Das ist das zentrale Ergebnis des Berichts, den der so genannte Weltagrarrat (IAASTD) im April nach vierjähriger Beratung vorgelegt hat. 400 Experten von Regierungen, internationalen Organisationen, aus dem nichtstaatlichen Bereich sowie aus der Privatwirtschaft geben darin einen Überblick über das weltweite Wissen zu nachhaltiger Landwirtschaft.
Der von 54 Ländern unterzeichnete Bericht schätzt, dass bis 2050 der Getreidebedarf weltweit um drei Viertel und die Fleischnachfrage sogar auf das Doppelte steigen wird. Deshalb müsse vor allem in den heutigen Entwicklungsländern die Produktivität gesteigert werden. Das dürfe jedoch nicht darauf zielen, mit allen Mitteln möglichst viel aus den Böden herauszuholen. Die Landwirtschaft müsse zugleich dem Erhalt und der Erneuerung natürlicher Ressourcen wie Böden, Wasser und Wälder dienen. Die industrialisierte Landwirtschaft mit Hochertragssorten sowie hohem Wasser-, Dünger- und Pestizideinsatz habe zwar in vielen Weltregionen den Hunger beseitigt. Aber dieses Modell sei langfristig weder ökologisch noch sozial tragbar.
Laut dem Bericht verhindern in vielen Ländern schlechte sozio-ökonomische Rahmenbedingungen – es fehlt etwa am Zugang zu Krediten und Märkten oder an sicheren Landrechten –, dass Bauern in ihr Land investieren und so ihre Produktion steigern. Wenn das nicht behoben werde, könne verbessertes Saatgut wenig bewirken. Wegen dieser Skepsis gegenüber rein technischen Lösungen haben Industrievertreter den Weltagrarrat schließlich verlassen. Auch einige Regierungen, darunter Australien, China, Großbritannien und die USA, haben Einwände gegen einzelne Kapitel des Berichts angemeldet.
welt-sichten 6-2008