Von Stefan Rother
Rund 250.000 ausländische Haushaltshilfen leben in der chinesischen Sonderverwaltungszone. Per Gesetz werden ihnen ein Mindestlohn und freie Tage zugestanden. Doch häufig halten sich Arbeitgeber nicht daran. Inzwischen setzen sich immer mehr ihrer Organisationen gegen diese Zustände zur Wehr.
Dorothy (Name geändert) tanzt zu den wummernden Beats. Der dunkle Raum der „Makati“-Disco ist gut gefüllt. Die Menge besteht zu 98 Prozent aus ihren Kolleginnen, Arbeitsmigrantinnen von den Philippinen. Nur ein paar westliche Männer in bunten Hemden lauern an der Bar. Ein ganz normaler Abend im Hongkonger Ausgehviertel Wan Chai, könnte man meinen – bis man den Club verlässt und in gleißendes Sonnenlicht tritt: Es ist Sonntagnachmittag, 15 Uhr. Das nach einem Stadtteil von Manila benannte „Makati“ ist ganz auf die Bedürfnisse seiner Klientel eingestellt: Nur an einem Tag in der Woche, in der Regel am Sonntag, dürfen sich die rund 250.000 fast ausschließlich weiblichen ausländischen Haushaltshilfen in Hongkong freinehmen. „Ich fühle mich wie ein Vogel in einem Käfig“, sagt Dorothy. „Heute morgen hat sich die Tür geöffnet, aber um 20 Uhr muss ich wieder bei meinen Arbeitgebern sein.“ Sie wohnen gut eine Stunde vom Stadtzentrum entfernt.
Seit mehr als vier Jahren arbeitet die 25-jährige Filipina als „Foreign Domestic Helper“ in Hongkong. Eine schwere Lebenskrise hatte die Uni-Absolventin bewogen, eine Anstellung bei der Regierung aufzugeben und ihre kleine Tochter auf den Philippinen zurückzulassen, um in Hongkong den Haushalt und die Kinder ihrer chinesischen Arbeitgeber zu betreuen. Dazu kam der finanzielle Anreiz: 3480 Hongkong-Dollar (etwa 330 Euro) ist der gesetzlich festgeschriebene Mindestlohn für ausländische Haushaltshilfen, nicht viel weniger als der Verdienst eines Universitätsprofessors auf den Philippinen.
Zudem werden Unterkunft und Verpflegung gewährt. Das bedeutet allerdings, dass die Migrantinnen in einem oft winzigen Zimmer im Haushalt ihrer Arbeitgeber wohnen und fast rund um die Uhr einsatzbereit sein müssen. Vermittelt werden sie in der Regel über Agenturen, die sich ihre Dienste hoch entlohnen lassen. Obwohl Dorothy diese Kosten abzahlen musste, konnte sie regelmäßig Geld an ihre Familie auf den Philippinen schicken. Doch als eine Schlammlawine deren Haus ins Meer spülte, musste Dorothy für den Wiederaufbau mehrere Kredite aufnehmen, auch bei Kredithaien im Stadtteil Kowloon. Die behielten ihren Ausweis als Sicherheit und kassieren seitdem zehn Prozent Zinsen – monatlich.
Unterstützung hat sie sich keine gesucht, weder bei staatlichen noch bei nichtstaatlichen Stellen. Als ihre Arbeitgeberin sie fortwährend demütigte, kämpfte sie sich ohne jede Hilfe aus dem Vertrag heraus und suchte sich einen neuen Haushalt. „Man darf sich an niemanden emotional binden, sonst wird man enttäuscht“, sagt Dorothy. „Hier in Hongkong gilt das Gesetz des Stärkeren.“
Eni Lestari vertritt eine ganz andere Lebensauffassung. Die 33-Jährige sitzt im Büro der Migranten-Organisation Asia Pacific Mission for Migrants neben der Kowloon Union Church. Sie sieht mindestens zehn Jahre jünger aus und spricht mit sanfter Stimme. Doch sie hat es in den vergangenen Jahren zum oft porträtierten Gesicht der radikalen Migrantenbewegung gebracht, weit über Hongkong hinaus. Lestari kam 1999 aus ihrer Heimatstadt Kediri im Osten Javas in die Sonderverwaltungszone – auch sie aus finanziellen Gründen: Ihre Mutter arbeitete als Obstverkäuferin auf dem Markt, das Geld war zu knapp, um auch die beiden jüngeren Geschwister durchzubringen.
Seit den 1980er Jahren wächst die Zahl der ausländischen Haushaltshilfen in Hongkong rasant. Zunächst waren sie überwiegend philippinischer Herkunft, doch seit gut einem Jahrzehnt haben die Indonesierinnen fast gleichgezogen. Den rund 120.000 Filipinas stehen mittlerweile rund 100.000 indonesische Frauen gegenüber. Ein wesentlicher Grund für die größere Nachfrage nach Indonesierinnen seitens der Agenturen und Arbeitgeber ist dabei höchst zweifelhafter Natur: Die Filipinas waren ihnen zu selbstbewusst geworden. Oft mit einem ähnlich guten Bildungshintergrund ausgestattet wie Dorothy, folgten sie der gern zitierten Devise „zehn Filipinos – zwölf Organisationen“ und gründeten in den vergangenen 25 Jahren eine Vielzahl von Vereinen.
Ein Großteil der zwischen 300 und 400 Zusammenschlüsse ist zwar sozialer Natur und nach Herkunftsregionen organisiert, etwa zehn Prozent sind aber auch dezidiert politisch ausgerichtet. Die Initialzündung gab 1982 ausgerechnet der damalige Diktator Ferdinand Marcos: Um den wachsenden Devisenbedarf des herabgewirtschafteten Inselstaates zu sichern, sollten Migranten gesetzlich verpflichtet werden, mindestens 50 Prozent ihrer Einkünfte über philippinische Banken rückzuüberweisen. Dass die Order nicht durchgesetzt werden konnte, war in erster Linie dem Engagement der Hongkonger Migrantinnen zu verdanken – die damalige Kronkolonie wurde so gewissermaßen zur „Wiege der philippinischen Migrantenbewegung“.
Den indonesischen Migrantinnen fehlten lange Zeit die Voraussetzungen für politisches Engagement. Oft haben sie nur eine geringe Schulbildung und sprechen wenig Englisch. Zwar lernen sie zur Vorbereitung auf ihre Arbeit in Hongkong neben Haushaltsfertigkeiten auch etwas rudimentäres Kantonesisch – dies allerdings in abgelegenen indonesischen Trainingslagern, wo sie oft monatelang unter unwürdigen Zuständen auf ihre Entsendung warten müssen. Über ihre Rechte erfahren sie in dieser Zeit nur wenig. Das indonesische Konsulat in Hongkong mahnt laut Berichten von Migrantinnen, sich möglichst unauffällig zu verhalten und vor allem den Kontakt mit den renitenten Filipinas zu vermeiden.
Dem Missbrauch sind somit Tür und Tor geöffnet: Nach Angaben des Asian Migrant Centre (AMC) in Hongkong erhalten fast alle Filipinas den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn, bei den Indonesierinnen sind es nur 75 Prozent. Hinzu kommt, dass diesen oft nur jeder zweite der per Gesetz garantierten freien Tage gestattet wird. Solche Erfahrungen hat auch Eni Lestari gemacht: Nach der Ankunft behielt die Rekrutierungsagentur die Hälfte ihres monatlichen Gehaltes sowie ihren Ausweis ein. Ihre Arbeitgeber verweigerten der Muslimin nicht nur jeden freien Tag, sondern setzten ihr bei der ohnehin dürftigen Verpflegung auch noch Schweinefleisch vor. Ihr Zimmer musste sie mit dem Teenager-Sohn der Familie teilen.
Nach sechs Monaten fasste sich Lestari schließlich ein Herz und flüchtete in ein Zufluchtshaus, das von der Mission for Filipino Migrant Workers betrieben wird. Dort traf sie auf Migrantinnen, denen es wie ihr ergangen war, und auf überwiegend philippinische Aktivistinnen, die sie bislang scheu gemieden hatte. Es folgte eine Bilderbuch- Karriere für Graswurzel-Engagement: Während der fünf Monate, in denen sie im Zufluchtsort auf die Klärung ihres Falls wartete, las sie Bücher über Arbeitsrecht, besuchte Seminare und gründete schließlich Asosiasi Tenaga Kerja Indonesia di Hong Kong, einen Zusammenschluss indonesischer Migranten. Diese Gruppe schloss sich schon bald dem Asian Migrants’ Coordinating Body (AMCB) an, der neben indonesischen und philippinischen Verbänden auch solche der in kleinerer Zahl in Hongkong vertretenen Nationalitäten umfasst: Sri Lanka, Thailand und Nepal.
Gemeinsam besitzen die Gruppen ein beachtliches Mobilisierungspotential, das sie unter anderem mit einer Demonstration aus Anlass des Global Forum on Migration and Development im Oktober 2008 unter Beweis stellten. Quer durch Hongkong brachten die Demonstranten vor den jeweiligen Konsulaten ihre Forderungen zur Sprache und verlangten etwa ein Ende des Rekrutierungsstopps für Haushaltshilfen aus Nepal: Ein beachtliches Zeichen von Solidarität gegenüber einer potentiell konkurrierenden Gruppe auf dem Arbeitsmarkt. Regelmäßige Kundgebungen machen die politischen Anliegen sichtbar und neben praktischen Hilfsangeboten betreiben die Organisationen auch politische Lobby-Arbeit.
Zwar gilt Hongkong im Vergleich zu anderen Zielländern von Arbeitsmigranten wie Malaysia, Singapur oder gar Saudi-Arabien als relativ erstrebenswertes Ziel: Die Sonderverwaltungszone gewährt den Migrantinnen Versammlungsfreiheit, eröffnet den Rechtsweg in Missbrauchsfällen und empfängt die Vertreter der Organisationen zumindest zu Konsultationen. Dennoch richten die Migrantenverbände eine Vielzahl von Forderungen an die Verwaltung, von einer Erhöhung des als Folge der Asienkrise 1998 gesenkten Mindestlohnes bis zum Ende der Zwei-Wochen-Regel. Die besagt, dass ausländische Haushaltshilfen bei Beendigung ihres Kontrakts nur zwei Wochen Zeit haben, sich in Hongkong einen neuen Arbeitgeber zu suchen – sonst müssen sie Hongkong verlassen. Es ist den Organisationen gelungen, die ungleiche Behandlung von Migrantinnen verschiedener Nationalitäten an die Öffentlichkeit zu bringen und weitere Einschnitte, etwa beim Mutterschutz, zu verhindern.
Konkurrenz zwischen Migrantenverbänden
Erschwert wird die Lobbyarbeit durch den scharfen Riss, der durch die Migrantenorganisationen geht: Um das Asian Migrants Centre hat sich ein Zusammenschluss von Verbänden unterschiedlicher Nationalitäten gebildet, die Coalition for Migrants Rights (CMR). Sie vertritt in der Regel etwas gemäßigtere Positionen und sieht sich damit Angriffen des AMCB ausgesetzt, der sich als einzig wahre Graswurzel-Organisation versteht. Vollends kompliziert wird die Arbeit durch den transnationalen Charakter der Aktivisten-Verbände: Die beiden Lager sind eng mit ebenfalls streng getrennt arbeitenden Organisationen und Parteigruppierungen auf den Philippinen verflochten. Diese senden regelmäßig Vertreter nach Hongkong – sei es für den Wahlkampf, sei es um die Haushaltshilfen gewerkschaftlich zu organisieren.
Doch Eni Lestari lässt sich von solchen Verwerfungen nicht ablenken. Mittlerweile hat sie es nicht nur zur Sprecherin des AMCB, sondern auch zur Vorsitzenden der frisch gegründeten International Migrants Alliance (IMA) gebracht. Das ist ein globaler Zusammenschluss von mehr als 70 Migrantenorganisationen, darunter auch die kommunistische Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa. In dieser Funktion reiste Lestari, die noch immer als Haushaltshilfe arbeitet, auch zum ersten Mal auf die Philippinen: Auf einer Gegenveranstaltung zum Global Forum on Migration and Development in Manila wandte sie sich mit gewohnt sanfter Stimme gegen Hausarbeit als moderne Sklaverei und die restriktive Migrationspolitik der Europäischen Union.
Und Dorothy? Von den Migrantenorganisationen in Hongkong will sie weiterhin wenig wissen. Sie träumt den Traum vieler Filipinas und hat sich um eine Arbeitsgenehmigung für Kanada beworben. Dort, so hofft sie, warten bessere Arbeitszeiten, eine freundlichere Behandlung und ein höheres Gehalt. Allerdings hat sie auch von den hohen Steuern und der Einsamkeit in dem weitläufigen Land gehört. Zunächst aber muss sie ohnehin die Kredithaie auszahlen, um ihren Ausweis zurückzuerhalten. „Es ist wie beim Schwimmen gegen den Strom“, sagt Dorothy, „man strampelt und strampelt und tritt doch auf der Stelle.“
Stefan Rother ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arnold-Bergstraesser-Institut in Freiburg. Er promoviert an der Universität Freiburg zum Thema „Arbeitsmigration zwischen den Philippinen und Hongkong – Das Entstehen transnationaler Politikräume“.