#metoo in Indien: Schweigen ist keine Option mehr

epd-bild/Iris Völlnagel
#metoo in Indien: Schweigen ist keine Option mehr
Immer wieder macht Indien Schlagzeilen mit Berichten über grausame sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder. Doch sechs Jahre nach der tödlichen Gruppenvergewaltigung einer Studentin formiert sich Widerstand, die #metoo-Bewegung kommt in Schwung.

Neu-Delhi (epd). Es ist ein sonniger Sonntagnachmittag in Neu-Delhi. In den Lodi-Gärten, einer der grünen Lungen der indischen Hauptstadt, tummeln sich die Menschen. Junge Pärchen genießen im Schutz der Bäume ihre Zweisamkeit. Großfamilien verbringen den freien Tag hier mit einem Picknick. In einer Ecke des Parks sitzen rund 30 Frauen allen Alters in einem großen Kreis. Sie kennen sich bislang kaum, doch sie alle verbindet eines: #metoo.

Jede der Frauen hat eine Geschichte zu erzählen von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, frauenverachtenden Äußerungen von Kollegen oder Vorgesetzten, Grapschereien bis hin zu Vergewaltigungen. Rund zwei Stunden lang tauschen sich die Frauen aus. Tränen fließen. Dennoch sind sich am Ende alle einig: Es hat gut getan über sexuelle Grenzüberschreitungen im Alltag zu reden, auch, wenn manche der Erlebnisse Jahre her sind.

Konsequenzen von Verfehlungen bleiben meist aus

Zu dem Treffen aufgerufen hatte Anoo Bhuyan. Die Journalistin bezeichnet sich selbst als "eine laute Stimme der #metoo-Bewegung" in Indiens Hauptstadt. Auch sie hat erst vor kurzem zum ersten Mal öffentlich darüber gesprochen, wie ein Chefredakteur sie vor Jahren nach Sex gefragt hatte.

Noch vor kurzem wäre sie nicht gehört worden, glaubt die junge Journalistin. Denn während in den USA und anderen Ländern zahlreiche Männer ihre Posten in Folge der #metoo-Enthüllungen räumen mussten, war das in Indien bislang kein Thema.

Dabei hatte die ehemalige Miss Indien und Bollywood-Schauspielerin Tanushree Dutta schon vor zehn Jahren in einem Interview berichtet, dass ihr Schauspielkollege Nana Patekar sie bei einem Dreh bedrängt habe. Als Dutta damals aus Protest das Set verließ, demolierte ein Mob ihr Auto. Die Schauspielerin zog in die USA. Im September wiederholte sie ihre Aussage, zunächst ohne viel Widerhall in der Öffentlichkeit. Das änderte sich Anfang Oktober nahezu schlagartig, als auch andere Schauspielerinnen, Künstlerinnen und Journalistinnen ihr Schweigen brachen.

Inzwischen haben auch in Indien rund 40 Männer ihre Posten geräumt und wurden freigestellt. Die "Times of India", eine der größten Zeitungen des Landes, veröffentlicht und aktualisiert im Internet die Liste. Darunter sind etliche Filmdirektoren, Journalisten, Autoren sowie Schauspieler.

Prominentestes Beispiel ist bislang der Politiker M.J. Akbar, bis Oktober Staatsminister für auswärtige Angelegenheiten und Mitglied der hindunationalistischen Partei BJP. Vor seiner Politikerkarriere war der 67-Jährige ein einflussreicher Journalist, Buchautor und Herausgeber mehrerer Zeitungen. Nachdem mehrere Frauen Anschuldigungen gegen ihn erhoben hatten, trat Akbar von seinem Amt zurück.

Prominenter Minister im Fokus

Die Frauen werfen ihm vor, sie mit anzüglichen Mails, Textnachrichten oder Anrufen belästigt zu haben, sie begrapscht und unpassende Komplimente verteilt zu haben. Zudem soll er Journalistinnen spät in der Nacht zu Sitzungen befohlen und zu Vorstellungsgesprächen in Hotelzimmer eingeladen haben. Akbars Anwälte wollen nun vor Gericht eine Bestätigung der Unschuld ihres Mandanten erstreiten.

Die laufende Bewegung sei in Indien der zweite Anlauf dieser Art, erklärt Anoo Bhuyan. Nach der Gruppenvergewaltigung der damals 23-jährigen Medizinstudentin Jyoti Singh Pandey am 16. Dezember 2012 habe das Land erstmals über sexuelle Gewalt und Belästigungen debattiert, sagt die Journalistin. Die Studentin starb kurz später an den schrecklichen Verletzungen.

Danach sei das Sexualstrafrecht verschärft worden, resümiert Bhuyan. Auch würden heute wesentlich mehr Vergewaltigungen angezeigt. "Doch das ist längst nicht genug", betont die junge Frau. Die aktuelle Entwicklung zeige, Indien habe zwar jetzt Vorschriften wie etwa das 2013 verabschiedete Gesetz gegen sexuelle Belästigung von Frauen am Arbeitsplatz. "Aber es fehlt an der Umsetzung und am Bewusstsein."

Das sei die Chance der jetzigen Bewegung. "Wenn es gelingt, dies zu ändern, dann hat #metoo schon viel erreicht", glaubt Bhuyan. Sie selbst will weiterkämpfen - das sei sie den anderen Frauen schuldig.

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