Marrakesch (epd). Es war eine kämpferische Rede, mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag in Marrakesch den UN-Migrationspakt verteidigte. "Zum Schutz unserer Bürger ist es nötig, illegale Migration gemeinsam zu bekämpfen", rief Merkel den Vertretern aus mehr als 150 Staaten zu, die zuvor den Migrationspakt per Akklamation verabschiedet hatten. "Und es ist doch jedem klar, dass nationale Alleingänge dieses Problem nicht lösen werden." Bei der Auseinandersetzung um den Migrationspakt gehe es damit auch um die Grundlage internationaler Zusammenarbeit an sich: "Deshalb lohnt es sich, um diesen Pakt zu kämpfen."
In der kommenden Woche soll die UN-Vollversammlung noch formal über den völkerrechtlich nicht verbindlichen Handlungsrahmen abstimmen. Die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit gilt als sicher. Doch dass der von Merkel genannte Kampf noch nicht vorbei ist, zeigte sich nicht zuletzt an der Liste der abwesenden Staaten.
Großteil der Migration finde auf der Südhalbkugel statt
Zehn Regierungen hätten den UN offiziell mitgeteilt, dass sie die Unterstützung für den von ihnen mitverhandelten Pakt zurückgezogen hätten, erklärte am Montag ein Konferenzsprecher: Australien, Chile, die Dominikanische Republik, Österreich, Lettland, Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn. Die USA hatten gar nicht erst mitverhandelt. Weitere Staaten überlegen noch oder haben ihre Zweifel über die Medien angemeldet.
UN-Generalsekretär António Guterres äußerte in Marrakesch die Hoffnung, dass die abwesenden Staaten sich dem Pakt in Zukunft anschließen werden, wenn sie erst den Wert für ihre Bevölkerung erkannt hätten. In seinem Plädoyer forderte er, Mythen zu überwinden und die Realität anzuerkennen. Dazu gehöre, dass der Großteil der Migration auf der Südhalbkugel stattfinde. Dessen ungeachtet seien viele Staaten auf der Nordhalbkugel angesichts ihrer Überalterung auf Migration angewiesen. "Wenn ich meine 95-jährige Mutter in Lissabon besuche, wird sie nicht von Portugiesen, sondern meistens von Arbeitsmigranten betreut."
Minutenlanger Applaus
Guterres hatte gleich zu Beginn des Gipfels von einem historischen Tag gesprochen. Und auch Merkel rief vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte zur Verteidigung des Multilateralismus auf. Als deutsche Bundeskanzlerin repräsentiere sie ein Land, das durch den Nationalsozialismus unendliches Leid über die Menschheit gebracht habe: "Die Antwort auf puren Nationalismus war die Gründung der Vereinten Nationen und das Bekenntnis zur gemeinsamen Lösung der Fragen, die uns bewegen."
Auch der belgische Ministerpräsident Charles Michel erinnerte an die Geschichte. Nach den Schlachtfeldern des Ersten und der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs habe das Bekenntnis zu universellen Prinzipien, die überall auf der Welt gelten, wieder Hoffnung genährt. Deshalb habe er sich - mit Rückhalt des belgischen Parlaments, das mit Zweidrittelmehrheit für den Pakt stimmte - für den Pakt entschieden, obwohl darüber seine Koalition zerbrochen sei: "Belgien wird auch diesmal auf der richtigen Seite der Geschichte stehen." Der Applaus für Michel war donnernd laut und hielt minutenlang an.
Das Pathos war den Befürwortern des Pakts vielleicht auch deshalb wichtig, weil sie trotz ihrer Zustimmung immer wieder betonen müssen, wofür sie nicht sind. Fast jeder Redner betonte, dass die staatliche Souveränität durch den Pakt nicht berührt ist. Dass die sieben Leitprinzipien und 23 Ziele des Pakts eine sichere, geordnete und reguläre Migration gewährleisten sollen, wie es im vollen Titel des Pakts heißt - aber keine Massenmigration befördern.
Zivilgesellschaft will sich beteiligen
Und dass es alleine den Nationalstaaten überlassen ist, ob und wie Ziele wie die Beseitigung von Fluchtursachen, integriertes Grenzmanagement, bessere Zusammenarbeit bei der Rückkehr von Migranten in ihre Heimatländer und die Eröffnung legaler Möglichkeiten zur Einwanderung umgesetzt werden.
Genau hier setzt die Kritik zivilgesellschaftlicher Gruppen an, die in einer gemeinsamen Erklärung echten Wandel für Migranten und ihre Angehörigen fordern. Geist und Inhalt des Abkommens müssten bei der Umsetzung das Minimum, nicht das Maximum darstellen, heißt es in der Erklärung, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Klimawandel und Umweltzerstörung trieben viele Menschen zur Flucht, sie müssten deshalb ebenso bekämpft werden wie andere Fluchtursachen, allen voran Ungleichheit und Armut. Die Zivilgesellschaft fordert, bei der Umsetzung weiter beteiligt zu werden. Im Zusammenhang mit dem Überprüfungsmechanismus scheint das derzeit aber eher ungewiss.
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