Tunis (epd). Auf dem Papier sieht die Zahl nicht schlechter aus als in manchen EU-Staaten: Die Arbeitslosigkeit in Tunesien liegt laut der Statistikbehörde des nordafrikanischen Landes bei rund 15 Prozent. Doch vor allem bei den jungen Tunesiern herrscht Frust. Hier ist die Arbeitslosenquote mit rund 35 Prozent deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung. Auch Universitätsabgänger sind massiv betroffen. Rund 18 Prozent der männlichen und mehr als 38 Prozent der weiblichen Absolventen haben keine Stelle, so die offiziellen Statistiken.
Fast acht Jahre nach Beginn der Aufstände, die im Januar 2011 den ehemaligen Machthaber Zine El Abidine Ben Ali zur Flucht trieben, hat sich die wirtschaftliche Situation Tunesiens kaum verbessert. Eine hohe Inflationsrate, zunehmende Staatsverschuldung und ein deutlicher Einbruch des tunesischen Dinars führen dazu, dass der Frust in weiten Teilen der Bevölkerung hoch ist.
Methode des Wartens
Eine klare Reformanstrengung der sieben Regierungen, die sich seit dem Umbruch abgelöst haben, kann Thomas Claes, Projektleiter für Wirtschaftspolitik bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tunesien, nicht erkennen. Er spricht stattdessen von der Methode des Wartens, die System habe. Den Arbeitslosen "wird immer in Aussicht gestellt, irgendwann komme etwas Besseres. Aber es kommt nichts, oder höchstens Überbrückungsmaßnahmen, die sich der Staat eigentlich nicht leisten kann."
Die offiziellen Zahlen zur Arbeitslosigkeit seien allerdings mit Vorsicht zu genießen, sagt er. Da es in Tunesien keine Arbeitslosenhilfe gibt, registrieren sich viele Jobsuchende erst gar nicht bei den staatlichen Stellen. Andererseits sind viele Arbeitslose im informellen Sektor tätig, tauchen jedoch trotzdem in der Statistik auf. Viele, die zum Beispiel einen Straßenstand haben oder als Tagelöhner auf einer Baustelle arbeiten, tun dies als Überbrückungsmaßnahme - in der Hoffnung, bald eine richtige Stelle zu bekommen.
Etablierte Unternehmer wollen Status quo erhalten
Während einerseits viele, vor allem junge Leute vergeblich nach Arbeit suchen, sieht sich Tunesien gleichzeitig mit der Abwanderung hochqualifizierter Fachkräfte konfrontiert. Besonders Ärzte und Ingenieure zieht es zunehmend nach Europa, Nordamerika, Südafrika oder an den arabischen Golf. Der tunesische Ingenieursverband beklagt, dass 10.000 Ingenieure seit 2011 das Land verlassen haben. Er nennt die niedrige Bezahlung von durchschnittlich 1.200 Dinar monatlich (rund 370 Euro) als einen der Hauptgründe für den Brain-Drain. Seit 2015 hätten rund 69.000 Tunesier das Land verlassen, um im Ausland eine Arbeit aufzunehmen, sagt Lorena Llando, Leiterin des Büros der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Tunis, dem epd. Dies entspricht rund 1,7 Prozent der aktiven Bevölkerung.
Bürokratische und finanzielle Hürden, die es jungen Leuten erschweren, in Tunesien selbst unternehmerisch tätig zu werden, würden bewusst nicht abgebaut, ergänzt Thomas Claes. "Denn die etablierten Unternehmer, die davon profitieren, haben ein Interesse, den Status quo zu erhalten." Außerdem seien sie eng mit der politischen Klasse vernetzt. Aber es gibt zumindest auf diesem Gebiet Hoffnung für die jungen Menschen: Zwei Gesetze, die die Gründung von sogenannten Ich-AGs und Kooperativen erleichtern würden und derzeit erarbeitet werden, könnten langfristig ihre Integration in den Arbeitsmarkt erleichtern.
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