„Bei Wahlen muss man die Korrupten abstrafen“

Korruptionsbekämpfung
Drei Staaten Lateinamerikas – Uruguay, Chile und Costa Rica – haben Bestechung und Unterschlagung unter Kontrolle gebracht, nicht zuletzt mit starken Aufsichtsorganen. In den meisten anderen Ländern aber ist Korruption weit verbreitet und der Wille fehlt, sie ernsthaft zu bekämpfen, sagt Delia Ferreira, ehemalige Vorsitzende von Transparency International.

Delia Ferreira ist argentinische Juristin und Expertin für Korruptionsbekämpfung in Lateinamerika. Sie hat den argentinischen Kongress und internationale Organisationen beraten und war von 2017 bis 2023 Vorsitzende von Transparency International. Hier spricht sie im Januar 2018 beim World Economic Forum  in Davos.

Korruption ist eines der größten strukturellen Probleme in Lateinamerika. Gibt es Schätzungen, wie viel wirtschaftlichen Schaden sie anrichtet? Lateinamerika stagniert bei der Korruptionsbekämpfung; im Korruptionswahrnehmungsindex von TI liegt der Durchschnittswert für die Region bei 34 von 100 möglichen Punkten, wobei 0 für extreme Korruption und 100 für gar keine steht. Für Korruption gibt es keine Quittungen oder Rechnungen. Aber nach Schätzungen der UN belaufen sich die jährlichen Kosten der Korruption weltweit auf etwa fünf Prozent des globalen Bruttoinlandsproduktes. Man schätzt, dass weltweit zwischen 10 und 25 Prozent der öffentlichen Ausgaben durch Korruption verloren gehen, wobei das je nach Sektor wie Gesundheit oder Infrastruktur variiert. Wenn konkrete Fälle aufgedeckt werden, lässt sich feststellen, wie viel gestohlen wurde, wie überhöht die Preise waren oder wie viel Bestechungsgeld gezahlt wurde. Diese Mittel fehlen in Bildung, Gesundheit, Entwicklung und Infrastruktur. Korruption untergräbt auch das Vertrauen in die Institutionen und beeinträchtigt die Gleichheit und die Freiheiten der Bevölkerung. 

In Lateinamerika hört man häufig den Satz „Dieser Politiker klaut, aber er baut“. Sind Sie besorgt über die Akzeptanz für Korruption und was sagt sie über die lateinamerikanischen Gesellschaften? 
Gleichgültigkeit gegenüber Korruption ist eines der grundlegenden Probleme der RegionDass Diebstahl öffentlicher Mittel als normal gilt, ist ein Anreiz für Korruption. Wenn es dann keine Konsequenzen gibt, wenn die Korrupten weiterhin Wahlen gewinnen, ist es sehr schwierig, dieser Geißel ein Ende zu setzen. 

Welche weiteren Ursachen hat die hohe Korruption in der Region? 
Ein zentrales Problem ist die Schwäche der Kontrollorgane, die zu Straflosigkeit führt. Zusammen mit der gesellschaftlichen Toleranz bildet dies einen großen Anreiz für Korruption. Mangel an Transparenz in der Regierungsführung und im politischen Finanzwesen tragen ebenfalls dazu bei, der Korruption Tür und Tor zu öffnen.

Welche Länder sind Ausnahmen und was machen sie besser als andere? 
Drei Länder in der Region schneiden bei Messungen überdurchschnittlich ab: Uruguay, Chile und Costa Rica. In der letzten Ausgabe des Korruptions-Wahrnehmungsindex von TI hat Uruguay 73 Punkte erreicht, Chile 66 und Costa Rica 55. Dies bedeutet nicht, dass es in diesen Ländern keine Korruption gibt. Auch dort wurden Aufsehen erregende Fälle bekannt. Der Unterschied liegt aber in der Reaktion. Zum einen haben der Staat und seine Institutionen mit wirksamer Aufklärung reagiert, zum anderen hat die Öffentlichkeit ihre Ablehnung zum Ausdruck gebracht. Wirksame Aufsichtsorgane, eine unabhängige Justiz und eine solide staatsbürgerliche Kultur machen den Unterschied aus.

Können Sie uns Beispiele für gute Korruptionsbekämpfung auf dem Subkontinent nennen? 
Es gab Fortschritte bei Transparenzregeln, etwa Gesetze über das Recht auf Zugang zu Informationen, über die Finanzierung politischer Kampagnen oder strengere Regeln im öffentliches Auftragswesen – besonders in Mexiko, Kolumbien, Costa Rica und Argentinien. Das Problem ist die Kluft zwischen diesen Vorschriften und ihrer praktischen Umsetzung. Mehr Transparenz im öffentlichen Auftragswesen mit Hilfe digitaler Portale ist beispielsweise ein wichtiger Schritt nach vorn. Während der Pandemie haben viele Länder das jedoch eingestellt, und die Wiederaufnahme zögert sich hinaus. Der Gesundheitsnotstand wurde in vielen Ländern – nicht nur in Lateinamerika – als Vorwand genutzt, um wegen Dringlichkeit auf reguläre Beschaffungsprozesse zu verzichten. Das führte zu überteuerten Käufen, Verträgen ohne vorherige Sorgfaltsprüfung und Vetternwirtschaft. 

Ein großes Problem ist der Mangel an echtem Engagement der Politiker. Integrität und Transparenz sollten staatliche Politik sein, egal, wer gerade an der Macht ist. Das ist in unserer Region nicht der Fall. Dass die Justiz und die Korruptionsbekämpfung oft für politische Zwecke benutzt werden, führt zu zeitweisen Fortschritten, gefolgt von Rückschlägen.

In der Bevölkerung herrscht der Eindruck, die Elite sei korrupt. Gleichzeitig werben die meisten Kandidaten im Wahlkampf mit dem Versprechen, mit der Korruption aufzuräumen, um dann in korrupte Praktiken zurückzufallen. Wie kann dieser Teufelskreis durchbrochen werden?
Ein Schlüsselelement ist, die Unabhängigkeit der Justiz und der Aufsichtsorgane zu gewährleisten. Wenn diejenigen, die kontrollieren, von denen abhängen, die sie kontrollieren sollen, funktioniert das System nicht. Die argentinische Behörde für Korruptionsbekämpfung ist zum Beispiel vom Justizministerium abhängig, das dem Präsidenten unterstellt ist. Solche Rechtsvorschriften müssen geändert werden. Allerdings werden auch die besten Vorschriften zahnlos, wenn sie nicht umgesetzt werden oder folgenlos gegen sie verstoßen wird. Die Bürger müssen deshalb permanent Informationen und Transparenz einfordern und die Korrupten bei Wahlen abstrafen. 

In mehreren Ländern kämpft die Zivilgesellschaft schon lange für mehr Transparenz, Rechtsstaatlichkeit und Rechenschaftspflicht. Was fehlt, um erfolgreicher zu sein?
Die Zivilgesellschaft hat in den letzten dreißig Jahren maßgeblich dazu beigetragen, das Thema Korruption auf die öffentliche Tagesordnung zu setzen und auf die Verabschiedung internationaler Konventionen und Verträge sowie nationaler Gesetze zu drängen. Sie spielt auch eine wichtige Rolle bei der Aufdeckung und Anprangerung von Korruption. Aber ihr Engagement hat Grenzen. Sie erlassen keine Gesetze und entscheiden auch nicht über Strafen.

Sind Wahlkämpfe ein besonderes Einfallstor für Korruption, und wie kann man dagegen vorgehen?
Die Finanzierung von Wahlkämpfen ist einer der Brennpunkte für Korruption. In vielen Fällen sind Gelder zur Imagepflege von Politikern und zur Finanzierung von Kampagnen eine Art Vorschuss auf Entscheidungen und für privilegierten Zugang zu Entscheidungsträgern. Die organisierte Kriminalität finanziert in der Region zunehmend Wahlkämpfe, insbesondere auf lokaler Ebene. Die Wahlbehörden sind im Allgemeinen nicht in der Lage, den Zufluss solcher Gelder zu kontrollieren und einzudämmen. Eine bessere Koordination mit den Stellen zur Verhinderung von Geldwäsche sowie den Finanz- und Bankbehörden ist unerlässlich.

Wie sehen Sie die Rolle der Presse und des Journalismus bei der Korruptionsbekämpfung in der Region?
Die Presse und insbesondere der investigative Journalismus ist zentral im Kampf gegen die Korruption. Die meisten Korruptionsskandale in der Region sind dank der Arbeit des Journalismus ans Licht gekommen. Den Zugang zu Informationen, die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit zu verteidigen ist unerlässlich, um die Korruption zu beenden.

Das Gespräch führte Sandra Weiss.

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erschienen in Ausgabe 6 / 2024: Wo Macht sich kaufen lässt
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