Es begann mit einem Slogan an der Wand einer Schule in der syrischen Stadt Deraa: „Das Volk will den Sturz des Regimes.“ Die Regierung reagierte angesichts der Umbrüche in Tunesien und Ägypten hysterisch. Die Kinder, die den Slogan gesprayt hatten, wurden verhaftet, Jugendliche, die ihre Freilassung forderten, niedergeknüppelt oder erschossen. Das war Ende März 2011. Was als ziviler Protest gegen ein repressives Regime begann, ist inzwischen zu einem von beiden Seiten mit großer Brutalität geführten Bürgerkrieg geworden. Die Herausgeberin, die Arabistin und Übersetzerin Larissa Bender, hat dank langjähriger Beziehungen zum Land Kontakte zu Autorinnen und Autoren, die auch die Innensicht vermitteln können. Sie haben mehr als die Hälfte der 19 Beiträge verfasst. Manche von ihnen leben im Exil, andere halten die Stellung im Lande. Das unter großer Gefahr, denn alle sind der Opposition zuzurechnen. Und wie das Regime gerade mit Künstlern und Journalisten verfährt, die die offizielle Linie nicht nachbeten wollen, das macht dieser Band deutlich. Er ist ein leidenschaftliches Plädoyer für eine Revolution, allerdings unter demokratischen Vorzeichen.
Der Sammelband ist kein Schnellschuss und gehört trotzdem zum Aktuellsten, was man auf dem deutschsprachigen Markt über den Syrien-Konflikt finden kann. Die Autorinnen und Autoren analysieren die Geschichte des Landes, die politischen Akteure, die Rolle der Frauen, der Künstler, der Religionen, der Kurden und auch der Nachbarländer und anderer externer Player. Sie kommentieren außerdem die Ereignisse bis zum Sommer 2012.
Unterbelichtet bleibt allerdings der Aspekt, der Beobachtern im Westen nach den Entwicklungen in Ägypten und Tunesien am meisten Sorgen bereiten dürfte: dass die Revolution von islamistischen, von Saudi- Arabien gesponserten Kräften gekapert werden könnte und nach dem Sturz Assads ein weiterer Bürgerkrieg oder eine islamische Diktatur folgt. Der Journalist Yassin al Haj-Saleh schließt seinen Beitrag mit einer düsteren Warnung: „Sollte das Regime die Gewalt weiter bis zum Terror hochschrauben, wird die Entwicklung immer stärker in Richtung dschihadistischer Gewalt und ihrer terroristischen Methoden gehen.“ Eine nähere Erörterung dieser Gefahr und der derzeitigen Stärke der Islamisten bleibt allerdings leider aus. (Ralf Leonhard)
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