Journalisten in Tunesien unter Druck

In Tunesien mehren sich die Verfahren gegen Journalistinnen und Journalisten. Ihnen drohen teils mehrjährige Haftstrafen. Anlass für Strafverfolgung kann jede Kritik an der Regierung sein.

Tunis - Eigentlich hätte Mohamed Boughaleb nach zwei Wochen Untersuchungshaft am 3. April freigelassen werden sollen. So berichten es tunesische Medien. Doch statt vor dem Richter zu erscheinen, musste der Journalist in der Hauptstadt Tunis ins Krankenhaus gebracht werden. Sein Gesundheitszustand hatte sich laut seinem Anwalt verschlechtert, die Verhandlung wurde um zwei Wochen verschoben. Die Justiz sei verpflichtet, Sicherheit und Gesundheit des inhaftierten Kollegen zu garantieren, forderte der Journalistenverband SNJT.

Inzwischen wurde ein zweiter Haftbefehl gegen Boughaleb erlassen, in einem anderen Verfahren. Denn gegen den bekannten Fernseh- und Radio-Kommentator liegen mehrere Anzeigen vor, unter anderem von Vertretern des Religionsministeriums, beispielsweise wegen Diffamierung und Verbreitung von Falschmeldungen über Vertreter des Staates. Boughaleb hatte in der Vergangenheit mehrfach über mutmaßliche Fälle von Korruption und Vorteilsnahme im Religionsministerium berichtet. Sollte er verurteilt werden, drohen ihm mehrere Jahre Haft. Er ist nicht der einzige Pressevertreter, der sich derzeit in Tunesien vor der Justiz verantworten muss.

Die Situation der Medien in dem nordafrikanischen Land sei sehr besorgniserregend, sagte Khaled Drareni, Sprecher für die Region von „Reporter ohne Grenzen“. Nach dem politischen Umbruch 2011 und dem damit einhergehenden Ende der Zensur waren zunächst mehrere private Radio- und Fernsehsender sowie unzählige Online-Medien gegründet worden. Auch die bereits existierenden staatlichen und privaten Medien nutzten die neu gewonnenen Freiräume aus und berichteten zunehmend kritisch.

Doch mehr als zehn Jahre nach der Revolution „ist die Bilanz extrem schlecht“ sagt Drareni. „Wir beobachten eine Rückkehr der alten Reflexe, der Selbstzensur von früher.“ Die tunesischen Journalisten verfügten heute über keinerlei Garantien mehr, dass sie ihre Arbeit in völliger Freiheit ausüben können. In der Rangliste der Pressefreiheit, die die Organisation jedes Jahr veröffentlicht, hat Tunesien im Vergleich zum Vorjahr 27 Plätze eingebüßt und befindet sich auf Platz 121 von 180. Dieses Jahr könnte es noch tiefer abrutschen, fürchtet Drareni.

Die Situation von Medienschaffenden in Tunesien sei „so schlimm wie noch nie“, die Meinungsfreiheit akut bedroht, warnte auch Zied Dabbar, Vorsitzender des SNJT, bereits zu Jahresbeginn. „Ich lade alle Kollegen und tunesischen Mitbürger ein, ein Totengebet für die Gerechtigkeit zu sprechen“, kommentierte er anlässlich eines Verfahrens gegen einen anderen Kollegen. Dieser wurde schließlich nur auf Bewährung verurteilt, aber von seinem Sender umgehend entlassen, mutmaßlich aus Angst vor weiteren Repressalien.

Seitdem laufen weitere Verfahren gegen Medienschaffende, unter anderem auf Basis eines Dekrets gegen die Verbreitung sogenannter Fake News, wegen des Verstoßes gegen das Telekommunikations- oder Strafrecht. Und das, obwohl Tunesien seit dem politischen Umbruch 2011 über ein eigenes Pressegesetz verfügt, das aber kaum zur Anwendung kommt. Die benutzen Gesetze seien vage und könnten daher leicht missbraucht werden, kritisiert Fida Hammami von Amnesty International. Ganz abgesehen davon, dass Meinungsdelikte nach internationalen Menschenrechtsstandards nicht mit Gefängnis bestraft werden sollten.

Khaled Drareni von „Reporter ohne Grenzen“ sorgt sich, dass sich die Situation vor der im Herbst anstehenden Präsidentschaftswahl noch weiter verschärfen könnte. Denn seit Präsident Kais Saied, der 2019 zunächst demokratisch gewählt worden war, 2021 die Macht an sich riss und weitgehend autoritär regiert, werde es für Journalistinnen und Journalisten immer schwieriger, ihre Arbeit zu machen. Seine Organisation werde darauf dringen, dass sich alle Kandidaten der anstehenden Wahlen zur Einhaltung der Pressefreiheit bekennen.

Der Staatschef betone zwar immer wieder, dass die Presse frei arbeiten könne, doch das entspreche nicht der Realität, sagte Drareni. „Da wird ein Wort, ein Satz, meist gegen den Präsidenten der Republik, aufgegriffen, um Journalisten zu verhören, zu misshandeln, einzuschüchtern oder zu inhaftieren. Solche Methoden sind eines demokratischen und republikanischen Staates nicht würdig.“

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