Über den Kirchturm hinaus

Engagierte Gemeinden setzen Politiker unter Druck
Engagierte Gemeinden setzen Politiker unter Druck

Die Debatte über das Kirchenasyl zieht weite Kreise – und das ist gut so. Denn sie macht deutlich: Weil die Politik versagt, müssen engagierte Christen für ein wenig mehr Menschlichkeit in der Flüchtlingspolitik sorgen. Ein Kommentar von „welt-sichten“-Redakteurin Gesine Kauffmann.

Es geht um Menschlichkeit, Moral, aber auch um Recht und Ordnung: Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat mit seiner harschen Kritik am Kirchenasyl eine heftige Debatte losgetreten. Gegenwind bekommt der Minister natürlich aus den Kirchen, aber auch von allen politischen Parteien – außer der CDU. Darüber hinaus ist eine breite öffentliche Diskussion entstanden, und das ist gut so. Denn sie macht deutlich, wie ungerecht das europäische Asylsystem ist und wie ohnehin schon verletzliche und traumatisierte Menschen darunter leiden. Es darf bezweifelt werden, dass de Maizière das beabsichtigt hat. 

Der Hintergrund: Die Zahl der Kirchenasyle ist – wie die der Asylsuchenden – deutlich gestiegen. Im Januar dieses Jahres hatten laut der Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ rund 200 Kirchengemeinden 359 Menschen in ihre Obhut genommen; vor einem Jahr waren es noch 62 Frauen, Männer und Kinder in 34 Gemeinden. Bei Flüchtlingen im Kirchenasyl handelt es sich in der Mehrzahl um sogenannte Dublin-Fälle, also Personen, die in andere Staaten der Europäischen Union (EU) abgeschoben werden sollen, weil sie dort zum ersten Mal europäischen Boden betreten haben – etwa nach Griechenland, Italien, Bulgarien und Ungarn.

Sogar die Trennung von Familien will de Maizière Kauf nehmen

In den meisten Fällen erreichen die Kirchengemeinden, dass die Verfahren ihrer Schützlinge erneut überprüft werden und sie hier bleiben können. Sie bewahren sie damit vor Obdachlosigkeit, Elend oder gar Gefängnis – denn das ist die bittere Wirklichkeit in den Randstaaten der EU. Dabei bewegen sich die Gemeinden zwar in einer rechtlichen Grauzone, doch sie handeln zutiefst menschlich und solidarisch. Und sie helfen zugleich, das Recht der Flüchtlinge durchzusetzen, was eigentlich die Aufgabe der staatlichen Härtefallkommissionen wäre. Statt das zu verteufeln, sollte die Bundesregierung diesen Impuls aufnehmen. Sie sollte sich für eine gerechtere Flüchtlingspolitik einsetzen, und zwar europaweit, genau wie es Bundeskanzlerin Angela Merkel unlängst gefordert hat.

Dem Bundesinnenminister scheint das aber egal zu sein. Er will Abschiebungen nach dem Dublin-Verfahren strenger handhaben – Hauptsache weg aus Deutschland. Sogar die Trennung von Familien soll in Kauf genommen werden. Und Menschen, die in Kirchen oder Gemeindezentren Schutz gefunden haben, sollen künftig als „flüchtig“ gelten. Damit würde sich die Frist, in der sie in die Erstaufnahmeländer zurückgeschickt werden können, von sechs auf 18 Monate verlängern – und ihr Kirchenasyl möglicherweise auch. Eine menschliche Asylpolitik sieht anders aus.

Gesine Kauffmann

 

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