Zukunft in Holz

In Berlin schreinern Flüchtlinge Möbel aus Lampedusa-Schiffen
In Berlin schreinern Flüchtlinge Möbel aus Lampedusa-Schiffen

Flüchtlingspolitik anders gestalten – das ist das Ziel von Cucula. Der Berliner Verein gründet deshalb mit fünf Flüchtlingen eine Möbelmanufaktur. Aus Teilen alter Boote entstehen Tische, Betten und Schränke mit Geschichte. Einer aus dem Team ist Ali Maiga Nouhou. Er will eine Tischlerausbildung machen. Dafür startete die „Refugees Company for Crafts and Design“ eine Crowdfunding-Aktion.

Konzentriert beugt sich Ali Maiga Nouhou über die Werkbank und jagt große Nägel in ein Stuhlbein. Es riecht nach Kiefernholz, die Luft ist trocken von den winzigen Holzpartikeln, die wie ein Nebelschleier im Raum hängen. Sein Kollege fährt wieder und wieder mit einer laut brummenden Schleifmaschine über ein Brett, ein anderer feilt schwungvoll an etwas, das ein Schrank werden soll. „Bin gleich fertig“, sagt Ali. 

Die Werkstatt von Cucula, der „Refugees Company for Crafts and Design“, liegt direkt an der Spree in Alt-Treptow, Berlin. Hinter der orangenen Eisentür bauen sich Flüchtlinge ihre berufliche Zukunft. Viele Geschichten fließen hier zusammen. Eine ist die eines erfolgreichen Start-Ups, das es eigentlich noch gar nicht gibt. Eine andere ist die von Ali. Sie beginnt mit einer Busfahrt.

Drei Mal muss das Flüchtlingsboot umkehren

Ali ist zwölf, als er in den Bus steigt. In Mali, seiner kriegsgeschädigten Heimat, hat er keine Zukunftsperspektive. Über Algerien gelangt er nach Libyen, seine Mutter hat ihm dazu geraten, dort sei es sicherer. Im Februar 2011 bricht der Bürgerkrieg aus. Ein paar Wochen später sitzt Ali in einem Flüchtlingsboot. Es ist überfüllt, drei Mal kehrt es nach ein paar Stunden wieder um, weil der Motor kaputt ist. Nicht alle überleben diese Strapazen.  „Ich habe viele Leute sterben sehen“, sagt der 22-Jährige mit einer Handbewegung, die aussieht, als würde er versuchen die Erinnerung schnell wieder wegzuwischen.

Mehr als 1500 Flüchtlinge ertranken 2011 bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) bezeichnete es als das „tödlichste Jahr“, seit es solche Statistiken erhebt. Im Jahr des Arabischen Frühlings strandeten allein auf der italienischen Insel Lampedusa fast 48.000 Flüchtlinge – darunter Ali. Er bleibt nur 24 Stunden. Erst wird er nach Apulien geschickt, von dort nach Matera. Irgendwann drückt ihm ein italienischer Polizist 500 Euro „Ausreisegeld“ und eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung in die Hand. Damit kann er bis zu drei Monate lang frei durch Europa reisen. Wieder fährt Ali Bus, dieses Mal – über viele Umwege – nach Berlin.

Durch die großen Fenster der Werkstatt fällt das Licht der Dezembersonne. An der Wand hängt ein selbstgebastelter Adventskalender aus recycelten Butterbrotbeuteln, auf dem quadratischen Holztisch steht eine Thermoskanne mit schwarzem Tee. Ali zeigt auf einen Schrank direkt am Eingang der Werkstatt. „Das war mein erstes Möbelstück“, sagt er stolz. „Den habe ich letztes Jahr im November gebaut.“

Die Möbel für ihre Zimmer müssen sie selbst bauen

Noch im Oktober 2013 lebt Ali im Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz in Berlin. Dort beginnt für ihn bereits der zweite Winter – und gleichzeitig die Geschichte von Cucula. Das JugendKunst- und Kulturhaus „Schlesische27“ hat für fünf der Oranienplatz-Flüchtlinge ein Kälteobdach eingerichtet. Barbara Meyer, die Direktorin, holt Ali und vier weitere Flüchtlinge am Oranienplatz ab. Sie kennen sich von einem Schreinerworkshop in der „Schlesischen27“.

Die Zimmer, die sie bekommen, sind leer. Also fangen sie mit Hilfe von Werkstattleiter und Designer Sebastian Däschle  an, selbst zu bauen, was sie brauchen. Das Schreinern klappt gut. Die Probleme bleiben: Keiner von ihnen hat eine Arbeitserlaubnis. Ali landet zwischendurch für fast zwei Wochen in Abschiebehaft in Eisenhüttenstadt, weil er einen Freund zum Flughafen Berlin-Schönefeld begleitet. Der liegt in Brandenburg und er darf Berlin nicht verlassen.

Aus dem Dilemma, in dem sie alle stecken, entsteht eine Idee, die so einfach wie gewagt ist. Mit Sebastian Däschle, Barbara Meyer, der Designerin Corinna Sy und der Sozialpädagogin Jessy Medernach gründen sie den Verein Cucula. „Wir wollen zeigen, wie man Flüchtlingspolitik anders und besser gestalten kann“, sagt Corinna Sy. „Durch die direkte Zusammenarbeit entstehen ganz neue Lösungsmodelle.“ Eine Möbelmanufaktur soll aufgebaut werden, in der die fünf Flüchtlinge zunächst angelernt werden. Einer von ihnen kommt auf die Idee, Überreste der Wracks von Lampedusa zu verarbeiten: als Stuhlbein oder Lehne. Die erste Reisetasche mit Bootsplanken holen sie vom Schiffsfriedhof am Hafen auf Lampedusa ab. Weitere Überreste schicken ihnen Freunde von der Insel.

Noch sind sie alle von Abschiebung bedroht

Erste Fördermittel für das Vorhaben kommen von der 82-jährigen Sozialarbeiterin Annelise Bödecker, die „noch ganz andere Herausforderungen mit großen Flüchtlingszahlen nach dem Krieg erlebt“ hat. Das angeschlossene Schulprogramm Cucula Education wird vom Fonds Soziokultur und der Stiftung Pfefferberg finanziert. Per Crowdfunding sammelt das Cucula-Team Geld für fünf Ausbildungsplätze. Wenn das Experiment gelingt, kann der Verein eine gemeinnützige GmbH gründen, die sich selbst trägt. Mit den Ausbildungsverträgen würden die Chancen der Flüchtlinge auf eine Aufenthaltsgenehmigung wachsen: Sie alle sind von Abschiebung bedroht.

Am liebsten, sagt Ali, würde er irgendwann ein Boot bauen. Eines, in das viele Leute passen. Er möchte gern in Berlin bleiben, doch um seine Familie macht er sich Sorgen. Seine Augen verdunkeln sich kurz. Der Onkel, die Mutter, die ältere Schwester – es ist fast unmöglich, sie zu erreichen, er weiß nur wenig darüber, was aus ihnen geworden ist. Dann steht er auf und zieht sich die dicke Winterjacke über. Er muss los zum Deutschunterricht. Dreimal pro Woche geht er hin. Vielleicht kommt er damit seinem Berufsziel näher: „Lehrer für Deutsch“, sagt er und lacht jetzt wieder. Vielleicht auch Programmierer, oder – und da ist er schon fast – Tischler.

UPDATE: Am 1. Januar 2015 endete die Frist für die Crowdfunding-Kampagne. Das Experiment ist geglückt. Der Verein schreibt im Newsletter: "Mit eurer Hilfe haben wir zum Ende der Crowdfunding Kampagne 123.556,- Euro Startkapital zur Verfügung: als Grundlage für den Aufbau der CUCULA-Company, für die umfassenden Bildungsprogramme, an denen auch andere Flüchtlinge teilnehmen werden, und für die fünf Ausbildungsstipendien der CUCULA-Trainees. Jetzt werden wir uns hochmotiviert in die Arbeit stürzen und euch bald von den neuen Entwicklungen berichten".

Hanna Pütz

 

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