Die Offene Arbeitsgruppe (OWG) zur Ausarbeitung von Nachhaltigkeitszielen hat ihren Bericht für die UN-Generalversammlung im kommenden September vorgelegt. Sie schlägt vor, dass 17 übergreifende „Sustainable Development Goals“ (SDGs) an die Stelle der Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs) treten sollen, die 2015 auslaufen. Damit ist klar, dass der neue Zielkatalog viel umfassender ausfallen wird – und viel schwammiger.
Die MDGs wurden auf dem UN-Millenniumsgipfel im September 2000 ausgerufen. Unter anderem sollten bis 2015 die extreme Armut und der Hunger um die Hälfte vermindert, allen Kindern eine Grundbildung ermöglicht, Aids und Malaria zurückgedrängt und die Kinder- und Müttersterblichkeit stark gesenkt werden. Nicht alle MDGs werden erreicht, und die Fortschritte in vielen afrikanischen Ländern bleiben hinter dem globalen Durchschnitt zurück. Aber die meisten armen Staaten, in denen kein Krieg herrschte, haben Fortschritte gemacht.
Nun könnte man die MDGs fortschreiben und einfach die Latte höher legen – zum Beispiel anvisieren, bis 2030 extreme Armut ganz abzuschaffen. Viele Fachleute und nichtstaatliche Organisationen (NGOs) wollen aber mehr. Sie kritisieren erstens, dass in den MDGs Bereiche wie Frieden, Menschenrechte, Umweltschutz oder auch Wirtschaftswachstum weitgehend fehlen, und zweitens, dass sie die Verantwortung der reichen Länder vernachlässigen.
Deren Politik schädigt arme Länder in mancher Hinsicht, etwa durch den Klimawandel, und auch in Industriestaaten herrscht soziale Ungleichheit. Deshalb, so diese Denkschule, sollten Nachhaltigkeitsziele nicht wie die MDGs in erster Linie arme Länder zu Schritten verpflichten, die von reichen unterstützt werden. Sondern sie sollten für alle Staaten gleichermaßen gelten.
Die Staatenvertreter, aus denen die Offene Arbeitsgruppe (OWG) besteht, sind diesem Ansatz gefolgt. In ihrem Bericht stehen gute Ideen. Die MDGs werden fortgeführt und erweitert: Extreme Armut und Hunger sollen bis 2030 abgeschafft, eine Sozialsicherung für alle eingeführt und die Ungleichheit verringert werden.
Die MDGs haben mehr Schulen gebracht, aber nicht weniger Korruption
Hinzu kommen aber schwer handhabbare Ziele wie umweltgerechte Industrialisierung und Verstädterung, der Übergang zu nachhaltigen Konsum- und Produktionsmustern und die Verringerung der Zahl der Gewaltopfer. Zielkonflikte oder Prioritäten scheint es nicht zu geben. In weiten Teilen ist das kein Arbeitsprogramm, sondern eine Wunschliste.
Das überrascht nicht. Regierungen haben schon viele folgenlose Bekenntnisse zur Nachhaltigkeit abgelegt. Auch in der Millenniums-Erklärung von 2000, deren Teil die MDGs sind, werden Schritte für Frieden und Abrüstung, Umweltschutz, Menschenrechte und gute Regierungsführung gefordert. Doch lediglich die Entwicklungsziele wurden mit klaren Vorgaben und Fristen versehen.
Wenn SDGs mehr als schöne Worte sein sollen, dann muss man auch sie in überprüfbare Zielvorgaben (targets) für jedes Land übersetzen. Das haben Experten und Diplomaten in der OWG versucht. Das Ergebnis sind nicht weniger als 169 „targets“ – die MDGs hatten 22. Gebraucht werden zudem Indikatoren, mit denen man für jede Zielvorgabe den Fortschritt misst. Schon technisch ist das schwierig; zum Beispiel kann man leicht messen, ob der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromproduktion steigt, aber nur sehr schwer, ob die Korruption oder die Kriegsgefahr abnimmt.
Schwammige „targets“ machen das nicht leichter. Bei einigen konnten sich die Staaten offenbar nicht auf klare Vorgaben einigen. So wollen sie die Regulierung der Finanzmärkte „verbessern“ und „ordentliche, sichere, reguläre und verantwortliche Migration erleichtern“. Andere müssen offen formuliert sein, weil es absurd wäre, etwa Deutschland, Indonesien und Mali dieselbe Vorgabe für die Armutsquote, den Straßenbau oder den Bodenschutz zu machen. In vielen Bereichen sind universelle Ziele nur möglich, wenn sie je nach Land angepasst werden. Folglich werden die Staaten um möglichst schwache Vorgaben für sich selbst feilschen – mit besseren Erfolgsaussichten für die mächtigen.
Ohnehin ist der Versuch, die Politik mit Hilfe starker SDGs zu verändern, wenig aussichtsreich. Gegenüber Industrie- und Schwellenländern gibt es weder Anreize noch Druckmittel, solche Ziele international einzufordern. Selbst arme Länder kann man von außen schwer zu Rechtsstaatlichkeit oder Demokratie zwingen. Daher bringen globale Vereinbarungen am ehesten technische Lösungen voran, die politisch wenig heikel sind: Die MDGs haben mehr Moskitonetze und Schulen gebracht, aber nicht weniger Korruption oder faire Welthandelsregeln. Das werden Nachhaltigkeitsziele, wie die OWG sie vorschlägt, bei allem Aufwand auch nicht schaffen.
Bernd Ludermann
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