Eine Randgruppe – auch für die Hilfswerke

Im Umgang mit Lesben und Schwulen tun sich kirchliche Hilfswerke schwer – aus wenig stichhaltigen Gründen. Streitigkeiten berühren auch die Entwicklungszusammenarbeit.

Seit Jahren streiten die Kirchen über den Umgang mit Homosexuellen, und die Fronten verlaufen zwischen Europa und Nordamerika auf der einen sowie Asien und Afrika auf der anderen Seite. Dieser Streit berührt auch die Entwicklungszusammenarbeit. So lehnt die Evangelisch-Lutherische Kirche in Tansania Geld von skandinavischen Partnerkirchen ab, in denen homosexuelle Paare gleichgestellt sind. Auch die Mekane-Yesus-Kirche in Äthiopien bekräftigte Ende 2011, dass sie gleichgeschlechtliche Partnerschaften ablehnt, und hält die Position der schwedischen und amerikanischen lutherischen Kirchen für Sünde. Andere afrikanische Kirchen fordern von ihren ausländischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, sich von den liberalen Positionen ihrer Heimatkirchen zu distanzieren.

Die deutsche kirchliche Entwicklungshilfe steht im Umgang mit Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen (LGBT) erst am Anfang. In einigen Referaten von Hilfswerken werden mutig kleinere Vorhaben dazu finanziert, und zwar meist als Teil umfassenderer Programme, also mehr oder weniger versteckt. Die sich häufenden homophoben Stellungnahmen insbesondere aus afrikanischen Kirchen zeigen, in welch schwierigem Umfeld die kirchlichen Hilfswerke hier arbeiten.

Doch gibt es im Gegensatz zur katholischen Kirche auf der protestantischen Seite Partner, die sich für die Rechte von Lesben und Schwulen einsetzen – etwa in Südafrika, in Indien, auf den Philippinen, im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) und in Teilen des Lutherischen Weltbundes. Der südafrikanische Bischof Desmond Tutu hat bereits 1998 bei der Generalkonferenz des ÖRK in Harare vor Homophobie in den Kirchen gewarnt und meldet sich seither immer wieder mahnend zu Wort.

Autor

Karl Schönberg

ist Soziologe und war viele Jahre in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit tätig.

Die Kooperation und der Dialog mit säkularen nichtstaatlichen Organisationen (NGO) – etwa mit solchen, die sich mit Gendergerechtigkeit oder Programmen gegen Gewalt beschäftigen – sind in manchen Fällen einfacher als mit kirchlichen Partnern. Manche NGOs im Süden beschäftigen sogar offen lesbisch oder schwul lebende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aber auch das US-amerikanische Quäker-Hilfswerk AFSC hat das Ziel, mit seiner Personalpolitik „Diversity and Inclusion“ zu fördern, also Lesben und Schwule einzustellen und ihre selbst erfahrene Diskriminierung gezielt in seiner Arbeit zu nutzen.

Gespräche über LGBT-Projekte sowie eine Förderung wären also möglich. Warum sind die kirchlichen Hilfswerke hier so zurückhaltend? Im Wesentlichen werden drei Gründe für diese Zurückhaltung genannt – übrigens so ähnlich auch in nicht kirchlichen Entwicklungsorganisationen. Erstens wird gefragt, wie groß die entwicklungspolitische Bedeutung sei: Die Verfolgung von Schwulen und Lesben verstößt gegen die Menschenrechte, aber ist sie auch relevant für die Entwicklung des Einzelnen oder gesamter Gesellschaften? Zweitens wird LGBT als  Nischenthema betrachtet: Es betreffe nur sehr wenige Personen und man könne sich nicht mit allen Problemen beschäftigen. Und drittens wird das Argument geäußert, hier würden den Partnern westliche Werte und Lebensweisen aufgezwängt. Der Vorwurf eines neuen Kolonialismus steht im Raum. Viele Hilfswerke scheuen davor zurück, diesen Konflikt an einem für sie so kontroversen Thema auszutragen.

Doch wie stichhaltig sind diese Argumente? Beim ersten, der Frage nach der Relevanz, ist zu bedenken, dass die sexuelle Orientierung nicht nur Privatsache ist. Sie hat ökonomische, soziale, rechtliche, politische und menschenrechtliche Dimensionen und ist somit von Belang für die Entwicklung von Gesellschaften.

Die Lebenssituation von Homo-, Bi- und Transsexuellen in Westeuropa ist nicht mit der in vielen asiatischen, afrikanischen, lateinamerikanischen und osteuropäischen Ländern zu vergleichen. In Deutschland werden Vorurteile und Diskriminierung zunehmend abgebaut. In zahlreichen Ländern des Südens und Ostens hingegen werden Menschen ausgegrenzt, sobald sie sich als lesbisch oder schwul zu erkennen geben oder erkannt und bloßgestellt werden – sowohl in der Familie als auch in der Gesellschaft. Arbeitsplatz- und Wohnungsverlust, Kriminalisierung, Verfolgung, „korrigierende Vergewaltigungen“ bis hin zu Morddrohungen und Ermordung sind in unterschiedlichem Ausmaß in vielen Ländern anzutreffen beziehungsweise haben sich sogar in den vergangenen Jahren verstärkt. Menschen, deren LGBT-Orientierung bekannt ist, werden in vielfacher Weise vom gleichberechtigten Leben in der Gesellschaft ausgeschlossen und sind einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt.

Auch in Ländern mit einem hohen Verfolgungspotenzial kann das Thema nicht mehr völlig tabuisiert werden

Diskriminierung lässt sich auf verschiedene Arten abbauen. Die bisherigen Erfahrungen in der Förderung von LGBT-Gruppen sowie die Erkenntnisse aus der Friedens- und Konfliktarbeit machen deutlich, dass man zweigleisig fahren muss. Zum einen sollten die Rechte von Homo , Bi- und Transsexuellen in allen Entwicklungsvorhaben berücksichtigt werden. Doch zugleich sollten gezielt Projekte für sie gefördert werden, wenn es etwa um akute Diskriminierungen oder um die Stärkung ihrer Organisationsstrukturen geht. Ähnlich wie bei der Frauenförderung und der Genderarbeit braucht die LGBT-Arbeit die Doppelstrategie von „mainstreaming“ und „empowerment“, um strukturelle Veränderungen herbeizuführen.

Eine Analyse des sozialen, kulturellen, religiösen und politischen Umfeldes im jeweiligen Land ist erforderlich, um schädliche Nebenwirkungen in der Entwicklungszusammenarbeit und eine Verschärfung der Stigmatisierung  zu vermeiden. Ein lehrreiches Beispiel ist die sicher in bester Absicht beschlossene Aussetzung von Entwicklungshilfe in Uganda, Ghana und anderen afrikanischen Ländern durch die britische Regierung. Die jeweiligen Länder wurden aufgefordert, sich von homophoben Maßnahmen zu distanzieren. Doch das führte nicht nur zu einer Verhärtung der Politik. Auch die Interessenvertretungen der LGBT sprachen sich vehement dagegen aus. Noch stärkere Repressionen ihnen gegenüber seien die Folge, argumentierten sie. Außerdem würden sie von der ganzen Bevölkerung einschließlich ihrer eigenen Familien für die Aussetzung der Hilfe verantwortlich gemacht. Die Interessenvertretungen fordern, dass solche Initiativen vorher mit ihnen diskutiert und abgestimmt werden. Statt der Konditionierung der Hilfe könne man ihre Projekte und Strukturen fördern, damit sie selbst für ihre Rechte kämpfen können.

Wie groß ist, zweitens, die Gruppe der LGBT? In einem so tabuisierten Bereich gibt es keine genauen Zahlen. Deshalb verwundert es kaum, dass eine nicht sensibilisierte Entwicklungszusammenarbeit mit der Zielgruppe LGBT und ihren Problemen nicht konfrontiert wird. Als Lesbe oder Schwuler bekannt zu sein ist für viele ein hohes Risiko, deshalb ist das Verstecken der eigenen Lebensweise die Regel. In Ländern, in denen LGBT kriminalisiert und offen verfolgt werden, findet man kaum organisierte und registrierte LGBT-Organisationen oder sie haben sich einen anderen Namen gegeben und arbeiten verdeckt.

Aber auch in Ländern mit einem hohen Verfolgungspotenzial kann das Thema nicht mehr völlig tabuisiert werden. Dazu sind die Menschenrechtsverletzungen zu gravierend. Diese werden inzwischen unter anderem von der deutschen Bundesregierung, der Europäischen Union, den USA und den Vereinten Nationen angeprangert. In Ländern mit einer weniger diskriminierenden und kriminalisierenden Politik melden sich LGBT-Initiativen zunehmend zu Wort, zum Beispiel in Indien, den Philippinen oder in Südafrika.

Werden den Partnern westliche Werte aufgezwängt? Der Vorwurf eines neuen Kolonialismus steht im Raum

Dennoch bleibt es schwierig für Lesben und Schwule, sich zu organisieren. Von den meisten etablierten NGOs und Netzwerken werden sie kaum beachtet. Und von der Projektförderung sind sie noch weitgehend ausgeschlossen. Nur wenige Hilfswerke, wie die Heinrich-Böll-Stiftung, das private niederländische Hilfswerk HIVOS, die staatliche schwedische Entwicklungsagentur SIDA sowie die niederländische Frauenrechtsorganisation Mama Cash haben eine explizite LGBT-Förderpolitik. Die Tatsache, dass sich in jüngster Zeit trotz der drohenden Gefahren zunehmend Betroffene äußern, vor allem über das Internet, und sich zu Initiativen zusammenschließen, zeigt, dass ihre Zahl gar nicht so klein und marginal sein kann. Und angesichts der Tatsache, mit welchem Ausmaß an Gewalt sie bedroht werden, sollte es zweitrangig sein, ob es sich um eine kleine oder große Gruppe von Menschen handelt.

Je nach Kulturkreis ist es ferner ganz unterschiedlich, wer sich selbst der Gruppe LGBT zurechnet. Es gibt zahlreiche Gesellschaften, in denen die Konvention oder der Zwang, zu heiraten und eine Familie zu gründen, sehr stark ist. In vielen Fällen werden diese Werthaltungen auch von Menschen geteilt, die ihr Sexualleben anders als nach der Norm ausrichten, dabei aber unterschiedliche Identitäten zu leben versuchen. Mit dem Begriff LGBT sollte also sensibel und kulturspezifisch angepasst umgegangen werden.

Immer wieder kommt drittens die Frage auf, ob mit der Forderung nach der Verwirklichung der Menschenrechte für Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle anderen Gesellschaften westliche Werte und Lebensformen übergestülpt werden. Das erinnert an die Anfänge der Frauenförderung und die Forderung nach der Einhaltung der Menschenrechte, bei der heftig um die universelle Gültigkeit gestritten wurde und immer noch wird. Bei der Homosexualität verlaufen die Fronten sowohl innerhalb der Kirchen als auch zwischen den Kirchen im Süden und im Norden.

Im Süden wird heftig darüber gestritten, ob Homosexualität ein rein westliches Phänomen, eine „Dekadenzerscheinung“, sei. Dazu werden Argumente aus der Bibel herangezogen sowie der Verweis auf die eigenen kulturellen Wurzeln. Dabei wird übersehen, dass die Verfolgung von Homosexuellen in Ländern des ehemaligen britischen Kolonialreiches unter anderem aus dem alten viktorianischen Rechtssystem herrührt und die homophobe Hetze innerhalb der Kirchen kräftig durch evangelikale Gruppen, insbesondere aus den USA, geschürt wird.

Den ökumenisch orientierten Kirchen aus Europa und den USA werden Neokolonialismus und neue Missionierung vorgeworfen. Die Kritik muss im Dialog mit den Partnerkirchen  ernstgenommen werden. Jedoch sollten Kirchen und ihre Hilfswerke die über Jahre mühsam erarbeiteten Positionen, wie sie Minderheiten in ihre Gesellschaften und in ihre eigenen Reihen integrieren, nicht aufgeben. Die Einhaltung der universellen Menschenrechte ist ein wichtiges Gut in den Kirchen. Und wenn homophobe Partnerorganisationen das ablehnen, darf dies für die kirchlichen Hilfswerke nicht bedeuten, dass sie eine diskriminierte und verfolgte Minderheit aus ihrer Förderung ausschließen.

Eine am Dialog orientierte Politik und die Rücksicht auf die Umstände vor Ort bedeuten nicht, einem Konflikt mit Partnern aus dem Weg zu gehen, die eine reaktionäre und homophobe Position vertreten. Partner, die offen Menschenrechtsverletzungen an sexuellen Minderheiten gutheißen, sollten aus der Förderung ausgeschlossen werden. Es bringt aber wenig, sich allein auf die harte Konfrontation mit reaktionären Kräften zu konzentrieren. Vielmehr sollten positive Ansätze verstärkt gefördert werden. Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle sollten in die Analyse der Zielgruppen und in die Planung und Verwirklichung von Projekten einbezogen werden.

Die homophoben Positionen mancher kirchlicher Partner und ihre Parteinahme für Menschenrechtsverletzungen von Seiten der Regierungen sowie der Einfluss fundamentalistischer Gruppen erzwingen immer dringender eine aktive Auseinandersetzung damit und eine Positionierung der kirchlichen Hilfswerke. Die EU und die UN haben sich in mehreren Stellungnahmen für den Schutz der LGBT-Rechte stark gemacht und fordern ein Umdenken. So geraten die kirchlichen Hilfswerke immer mehr in die Defensive. Dabei sind sie eher als Vorreiter im Kampf für die Menschenrechte von Minderheiten bekannt. Aus ihrer Grundorientierung und ihren Leitlinien ist ein Ausschluss von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen als Zielgruppe jedenfalls nicht ableitbar. Ganz im Gegenteil, sie fordern zu ihrem Schutz auf. 

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erschienen in Ausgabe 2 / 2013: Ägypten: Aufruhr und Aufbruch
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