Zu stark beeinflusst von China? Die USA werfen dem WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus vor, sich zu Beginn der Corona-Pandemie zu lange auf die Angaben aus China verlassen zu haben.
Gar nichts. Die WHO hat die Gefahren nicht heruntergespielt, sondern bereits Ende Dezember ihre Informationen über den Ausbruch von Sars-Cov-2 kommuniziert. Im Januar und Februar haben viele Länder die Corona-Pandemie noch als ein rein asiatisches Problem gesehen und deswegen zu spät reagiert. Natürlich hat die WHO eng mit der chinesischen Regierung zusammengearbeitet: Die hat ja Informationen aus dem Land geliefert, in dem der Ausbruch begann.
Aber noch am 14. Januar hat die WHO mitgeteilt, dass eine Übertragung von Sars-Cov-2 von Mensch zu Mensch unwahrscheinlich sei, obwohl es bereits entsprechende Warnungen aus Taiwan gab. Hat sich die Weltgesundheitsorganisation zu lange auf die offiziellen Angaben aus China verlassen?
Die wesentlichen Informationen kamen aus China, weil dort die meisten Fälle und Erfahrungen vorlagen. Seit der Ebola-Krise in Westafrika in den Jahren 2014 und 2015 hat die WHO ihr Informations- und Meldesystem zu möglichen Epidemie-Ausbrüchen deutlich verbessert und ausgebaut. Pro Jahr gehen dort etwa 360 Signale von Krankheits-Ausbrüchen mit potentiell regionaler oder internationaler Relevanz ein, das heißt im Schnitt jeden Tag eine Meldung. Mit diesen Informationen muss die WHO verantwortlich umgehen und unter Einbeziehung aller verfügbarer Daten und Einschätzungen von Expertinnen und Experten immer auch abwägen, ab wann sie einen Krankheitsausbruch zu einem Problem mit internationaler Reichweite erklärt, wie sie es dann Ende Januar gemacht hat. Aber schon während des Januars hat sie ihre Mitgliedsländer aufgefordert, das genau zu beobachten und sich vorzubereiten.
Was heißt das für die Warnungen aus Taiwan?
Die Frage war Anfang Januar, wie intensiv eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung stattfindet. Es sah zunächst so aus, als beschränkten sich die Ansteckungen überwiegend auf Übertragungen in Gesundheitseinrichtungen und Familien – also bei engem persönlichem Kontakt, ähnlich wie bei den früheren Coronaviren SARS und MERS. Erst im Laufe des Januars hat sich herausgestellt, dass sich Sars-Cov-2 viel schneller und weiter über eine Tröpfcheninfektion verbreitet – und ab diesem Zeitpunkt hat die Weltgesundheitsorganisation richtig Alarm geschlagen.
Die chinesische Zentralregierung hat kritische Stimmen aus Wuhan zu Beginn des Ausbruchs unterdrückt. Dennoch hat WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus bei einem Besuch in China Ende Januar die Reaktion der Zentralregierung öffentlichkeitswirksam gelobt. Warum?
Tedros wollte, dass eine WHO-Kommission nach China reisen kann, um sich vor Ort ein Bild der Lage zu machen. Im Januar hat China darauf noch ablehnend reagiert. Das deutliche Lob schätze ich als eine diplomatische Umarmungsstrategie ein: Mit seinem Besuch Ende Januar hat Tedros dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping die Bilder gegeben, die er haben wollte. Nur dadurch konnte die WHO ihr Expertenteam im Februar ins Land schicken. Die Weltgesundheitsorganisation hält sich grundsätzlich diplomatisch sehr zurück gegenüber ihren Mitgliedsstaaten. Sie hat zum Beispiel auch nie die syrische Regierung öffentlich dafür kritisiert, dass sie Gesundheitseinrichtungen im eigenen Land bombardiert. Man muss die chinesische Regierung dafür kritisieren, dass sie im Dezember nicht früher reagiert hat. Das hätte die WHO deutlicher ansprechen können.
War die Umarmungsstrategie alternativlos, um ins Land reinzukommen?
Die frühere Generaldirektorin Gro Bruntland hat bei der ersten Sars-Epidemie Anfang der 2000er Jahre einen anderen Weg gewählt und China und auch andere Mitgliedsländer stark für ihre mangelnde Kooperation kritisiert. Das war ungewöhnlich. Solche öffentliche Kritik ist auch nicht ohne Risiko: Bruntland hat keine zweite Amtszeit als Generaldirektorin der WHO bekommen. Dies könnte unter anderem an dieser sehr offensiven Art im Umgang mit Mitgliedsländern gelegen haben. In der Regel benennt die WHO ihre Kritik an den Mitgliedstaaten wie aktuell auch eher allgemein, ohne einzelne Namen zu nennen.
Wie kann die Weltgesundheitsorganisation sicherstellen, dass die Regierungen der Mitgliedsstaaten offen über Krankheitsausbrüche informieren?
Sie hat in vielen Ländern lokale Büros mit eigenen Mitarbeitern. Aber auch die sind auf Informationen von den lokalen Gesundheitsbehörden angewiesen und oftmals auch direkt in den Gesundheitsministerien eingebettet. Seit der Verabschiedung der Internationalen Gesundheitsrichtlinien im Jahr 2005 darf die WHO zudem offiziell Material und Informationen von nichtstaatlichen Organisationen verwenden. Das war eine Reaktion auf den SARS-Ausbruch. Bei dem Ebola-Ausbruch in Liberia und Sierra Leona war das noch hoch umstritten. Die Ärzte ohne Grenzen hatten damals frühzeitiger vor einer Epidemie gewarnt. Die Regierungen aber haben das monatelang aus Angst vor den wirtschaftlichen Folgen heruntergespielt. Das afrikanische Regionalbüro der WHO in Brazzaville hatte diese Zurückhaltung mit unterstützt. So erklärte die Weltgesundheitsorganisation den internationalen Notstand erst, als der Ausbruch schon in vollem Gange war.
Welche Hilfe kann die WHO in Notfällen wie der Corona-Krise den Ländern anbieten?
Sie hat vor allem eine koordinierende Funktion: Sie trennt richtige von falschen Informationen und stellt technische Empfehlungen und Guidelines für viele konkrete Fragen der Aufklärung, Prävention und Behandlung bereit. Zurzeit macht sie auch online Kurse für Gesundheitsfachkräfte – all das stellt sie den Mitgliedsstaaten bereit. Sie gibt außerdem Handlungsanweisungen, an die sich die Mitgliedsländer auch halten sollen, etwa Regeln zum physischen Distanzieren. Jetzt beteiligt sie sich an der Erforschung von neuen Behandlungsmethoden gegen Covid-19 und an der Entwicklung eines Impfstoffs. Es gibt außerdem die Forderung, dass sie einen Patentpool anlegt, wie es ihn schon für Medikamente zur Behandlung von HIV/AIDS, Hepatitis und Tuberkulose gibt. Über einen solchen Pool können Generikahersteller Lizenzen für die Produktion von Medikamenten und Impfstoffen erhalten. So könnte sie verhindern, dass Eigentumsrechte den raschen und bezahlbaren Zugang zu den erforschten Tests, Medikamenten und Impfstoffen verhindern.
Leistet sie auch praktische Unterstützung vor Ort?
Vor allem in Ländern des globalen Südens unterstützt sie lokale Gesundheitsbehörden dabei, Hilfsmaterialien wie Schutzkleidung ins Land zu bekommen und die Testkapazitäten auszubauen. Das ist ein großes Problem, weil der Weltmarkt derzeit leergekauft ist. Grundsätzlich sind Länder mit einem schwachen Gesundheitssystem besonders auf die WHO angewiesen.
Die USA sind der größte Geldgeber der WHO. Welche Folgen hat der Zahlungsstopp für die Handlungsfähigkeit der Weltgesundheitsorganisation in der Corona-Krise?
Für die unmittelbare Arbeit in der Covid-19 Krise hat sie vermutlich erst einmal genug Geld. Für die unmittelbare Bekämpfung der Pandemie hatte sie im Februar 675 Millionen US-Dollar von den Mitgliedsstaaten gefordert, davon sind bis April etwa 450 Millionen zusammengekommen. Zusätzlich gibt es noch einen Solidaritätsfonds mit Geldern aus vielen anderen Quellen, der sich aktuell auf 200 Millionen US-Dollar belaufen dürfte. Aber die Gelder aus den USA machen gut 20 Prozent des laufenden Budgets der WHO aus und sind wichtig für die kontinuierliche Arbeit und viele Sonderprogramme, darunter etwa das Polio-Programm. Das ist schon eine ernste Bedrohung. Übrigens schuldet die USA der Weltgesundheitsorganisation noch 200 Millionen US-Dollar von letztem Jahr.
Zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren schon lange, wichtige Geberländer, nicht nur die USA, unterstützten die WHO nicht stark genug mit der Folge, dass private Geber wie die Gates-Stiftung einspringen müssen. Wie glaubwürdig ist vor diesem Hintergrund die weltweite Empörung über Trumps Schritt?
Die Empörung ist nur begrenzt glaubwürdig. Die WHO ist unterfinanziert, vor allem weil ein Großteil der Zuwendungen zweckgebunden ist und seit Jahrzehnten die Mitgliedsbeiträge faktisch eingefroren sind. Im Moment decken sie nur noch 20 Prozent des Gesamtbudgets. Seit den 2000er Jahren wurden zusätzlich annähernd hundert parallele Initiativen wie die Impfallianz oder der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria etabliert, meistens sitzt die Privatwirtschaft mit an Bord. Damit wurde die Rolle der WHO als führende Gesundheitsorganisation geschwächt.
Wie sollte die internationale Gemeinschaft die WHO aufstellen, damit sie in Zukunft besser auf Pandemien reagieren kann?
Sie braucht die Bereitschaft der Mitgliedsstaaten für einen echten Multilateralismus und eine stabile Finanzierung. Außerdem müssen die Mitgliedsstaaten aufhören, notwendige Reformschritte einzufordern, sie aber dann durch mangelnde Finanzierung zu blockieren. Schlecht ist zum Beispiel, dass viele WHO-Mitarbeitende nur befristete Verträge bekommen. Das hängt natürlich auch mit den projektgebundenen Mitteln zusammen. Jetzt hat man zwar viel Geld, aber die WHO muss erstmal zusätzliches Personal rekrutieren und einarbeiten. Das Versprechen, die WHO beim Aufbau eines stabilen Notfallfonds zu unterstützen, haben seit 2015 nur wenige Länder ernst genommen. Die Bundesregierung zählt hier erfreulicherweise zu den positiven Ausnahmen. Ich würde mir außerdem wünschen, dass die Mitgliedsländer offener für Kritik von der WHO sind. Vielleicht sollte man sogar über die Einführung von Sanktionen bei Verstößen gegen Handlungsanweisungen der WHO diskutieren. Diese Möglichkeit gibt es schließlich auch bei der Welthandelsorganisation.
Das Gespräch führte Moritz Elliesen
Mehr Berichte zu den Auswirkungen der Pandemie in verschiedenen Ländern finden Sie in unserem Corona-Dossier.
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