Bunwar Hussein Ahmed vor seinem Laden auf dem Ballarò-Markt in Palermo.
Ein heißer Sommernachmittag auf dem Ballarò-Markt in der sizilianischen Hauptstadt Palermo: Händler preisen Früchte und Fisch an, nigerianische Frauen rösten Mais in kleinen Blechtöpfen. Der Duft von gegrillten Sardinen und frittierten Reisbällchen durchzieht die Luft. Inmitten des Gewirrs von Stimmen, Farben und Gerüchen steht ein Mann mit weißem Bart vor seinem Geschäft. Dort verkauft er Früchte, Gemüse und Gewürze. Bunwar Hussein Ahmed kam vor 20 Jahren aus Bangladesch nach Sizilien. Er hat zwei Söhne und eine Tochter. Mit seiner Familie lebt er gut anderthalb Kilometer vom Trubel des Ballarò-Marktes entfernt.
Seit 2013 versorgt er mit seinem kleinen Laden die multikulturelle Kundschaft in der Nachbarschaft. Er verkaufe ihnen Zutaten und Lebensmittel, die in der italienischen Küche nicht bekannt sind, sagt er: „Kassava, Fufu, Okraschoten und Ghee.“ Die meisten Kundinnen und Kunden kommen aus Bangladesch, Ghana und Nigeria. Zuvor hatte Ahmed lange sein Geld verdient, indem er an den Stränden Siziliens Tücher und Sonnenbrillen an die Touristinnen und Touristen verkaufte – so wie viele Migranten aus Bangladesch. Mit seinen Ersparnissen hat er dann seinen Laden eröffnet.
Um die Ecke blüht der Drogenhandel
Wir sitzen in seinem Geschäft auf dem Boden und trinken süßen Ananassaft aus kleinen weißen Plastikbechern, während Kundinnen und Kunden kommen und gehen. David, sein Angestellter aus Ghana, hilft einer Frau aus Bangladesch, eine Handvoll Okra in eine Tüte zu packen, draußen rasen junge Sizilianer mit ihren Mopeds vorbei. Während wir uns unterhalten, wechselt Ahmeds Stimmung – aufmerksam beobachtet er, wer sich vor seinem Geschäft aufhält. In der Vergangenheit habe man versucht, ihm Ärger zu machen, erzählt er. Denn sein Laden in Ballarò befindet sich in einer Gegend, die von der sizilianischen Mafia kontrolliert wird. Es sei ihm jedoch gelungen, die Männer, die vor seinem Laden aufgetaucht seien, zu vertreiben. „Ich habe ihnen gesagt, wenn ich sie hier noch einmal sehe, werde ich die nötigen Maßnahmen ergreifen.“
Er wisse, dass er hier fremd sei und die Regeln seines Gastlandes einhalten müsse, sagt Ahmed. Doch die Schönheit von Ballarò darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um keinen beliebigen sizilianischen Markt handelt. Gleich um die Ecke, nur ein paar Meter von Ahmeds Geschäft entfernt, wickeln junge Männer in aller Öffentlichkeit ihre Drogengeschäfte ab. Andere transportieren Päckchen mit Drogen auf dem Moped durch die Seitenstraßen des historischen Viertels. Tafazzul Topu, Präsident der lokalen Vereinigung von Migranten aus Bangladesch, sagt: „Wenn du in Ballarò lebst, musst du die Mafiabosse gewogen stimmen, sonst rauben sie dein Geschäft aus.“
Die Angst vor der Mafia sei so stark, dass die Sizilianer es nicht wagen, sich zur Wehr zu setzen, meint Topu. Die meisten Geschäftsleute bezahlen Schutzgeld, damit sie nicht angegriffen werden. Die Migranten hingegen wehren sich. „Vor einigen Jahren hat ein Italiener einen jungen Afrikaner angeschossen. Er sitzt jetzt im Gefängnis“, sagt Topu. Er meint den versuchten Mord an dem Gambier Yusupha Susso vor zwei Jahren. Der Fall brachte eine Gruppe von Geschäftsleuten aus Bangladesch dazu, sich gegen die Mafia zu erheben und vor Gericht Anklage zu erheben. Das Verfahren wurde im Oktober 2017 eröffnet und läuft noch.
"Wir sehen uns vor Gericht!"
Vor zwei Jahren, an einem warmen Abend im April, schoss Emanuele Rubin Susso nach einem Streit in den Kopf. Susso lag mehrere Wochen im Koma. Der Mordversuch rüttelte die Migrantengemeinschaften in Ballarò auf. Frauen und Männer aus Tunesien, Nigeria, Gambia und Bangladesch gingen zusammen mit langjährigen sizilianischen Anti-Mafia-Aktivisten auf die Straße und forderten von den Behörden, mehr gegen die Geißel des organisierten Verbrechens auf der Insel zu tun. Eine Gruppe von Geschäftsleuten schloss sich schließlich zusammen, um ein Gerichtsverfahren gegen die Cosa Nostra anzustrengen, einschließlich Personen mit engen Verbindungen zu Emanuele Rubin. Damit sagten sie den Mafiabossen ins Gesicht: „Wir sehen uns vor Gericht!“
###autor###Unterstützt werden sie von der Anti-Mafia-Gruppe Addio Pizzo (Tschüss, Erpressung), die 2004 von Studenten gegründet wurde. Deren Mitarbeiter Edoardo Zaffuto sagt, es sei ungewöhnlich, dass eine Gruppe von Personen zur Polizei gegangen sei, in der Vergangenheit hätten sich lediglich Einzelpersonen gegen die Mafia gewehrt. Einige der Geschäftsleute hätten die Vergeltung zu spüren bekommen: Die Schlösser ihrer Läden waren mit Sekundenkleber zugeschmiert. Das ist ein Zeichen der Mafia, dass sie jemanden beobachten, und wenn er nicht zahlt, wird er angegriffen – mit einer Brandbombe oder einem Überfall.
In den Medien wird Sizilien oft als Transitzone dargestellt für Migranten, die auf dem Weg in die wohlhabenderen Wohlfahrtsstaaten in Nordeuropa sind. Tatsächlich bleiben jedoch viele von ihnen auf der italienischen Insel und bemühen sich darum, sie zu ihrer Heimat zu machen. Seit den 1990er Jahren kamen zahlreiche Bangladescher hier an, die meisten ließen sich in Palermo und Catania nieder, der zweitgrößten sizilianischen Stadt. Laut Schätzungen leben dort 10.000 Kinder, Frauen und Männer aus Bangladesch. Die meisten arbeiten in Textilfabriken, im informellen Sektor oder auf dem Schwarzmarkt, wo sie billige Plastikartikel verhökern. Oder sie verkaufen wie Ahmed Tücher und Sonnenbrillen an die Touristinnen und Touristen. Das macht es Mafia-Bossen leicht, sie als billige Arbeitskräfte auszubeuten; die Polizei schützt sie nicht davor.
Großen Mut bewiesen
Mohammed Mia lebt seit 2009 in Palermo. Tagsüber arbeitet er als Putzmann, abends verkauft er in seinem kleinen Laden Hüllen für Smartphones und andere Plastikprodukte. Dort hätten ihn mafiaähnliche Kriminelle angegriffen, erzählt er. Als er zur Polizei gegangen sei, sei er nicht ernst genommen worden. Sie habe nichts unternommen. Die Geschäftsleute aus Bangladesch müssen für ihre Sicherheit selbst sorgen. Sie halten Kontakt über Telefon, damit sie sich im Falle von Übergriffen gegenseitig zu Hilfe kommen können.
Trotz dieser Schwierigkeiten beginnen die Migranten, in der sizilianischen Gesellschaft Fuß zu fassen. Einige von ihnen haben inzwischen die italienische Staatsbürgerschaft erhalten. Sumi Dalia Aktar etwa ist als erste Migrantin aus Bangladesch in die Kommunalpolitik von Palermo gegangen. Die Muslimin gehört der Partido Democratico (PD) an, der Partei des früheren italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi. Dabei ist Sizilien eine Hochburg der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung, die derzeit mit der rechtsextremen Lega Nord Italiens Regierung bildet.
„Wir Migranten haben schon großen Mut bewiesen, indem wir die Mafia und ihre Schutzgelderpressung in Ballarò angezeigt haben“, sagt Sumi Dalia Aktar. Das zeige, dass sich die bangladeschische Gemeinschaft immer mehr in die Gesellschaft von Palermo integriere. „Die Geschäftsleute aus Bangladesch haben dazu beigetragen, das Klima in der Stadt zu verbessern“, sagt sie. „Wir fühlen uns als Teil von ihr. Sie ist kein Übergangsort für uns. Sie ist unsere Heimat.“
Aus dem Englischen von Gesine Kauffmann.
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