"Entwicklungshelfer sind unverzichtbar"

Entwicklungsdienst
Ein Gespräch mit dem Berater Lutz Schrader über fähige Fachkräfte und darüber, was sie leisten können.

Seit Jahrzehnten schickt Deutschland Entwicklungshelfer in ärmere Länder. Ist das noch zeitgemäß? Ja, urteilte eine Evaluierung vor zwei Jahren – vorausgesetzt, die Helfer genügen den Ansprüchen der Partnerländer. Denn die haben sich im Laufe der Zeit stark verändert. Der Berater Lutz Schrader ist für die Arbeitsgemeinschaft der Entwicklungsdienste (AGdD) in einer Studie der Frage nachgegangen, was das für die Qualifikation der Fachkräfte bedeutet.

Was haben Sie herausgefunden?
Wir sollten den Entsendediensten einen Überblick geben, was sie im Bereich Fort- und Weiterbildung machen. Wir sollten untersuchen, wie und wo Fachkräfte im Entwicklungsdienst die für ihren Einsatz erforderlichen Kompetenzen erwerben und vertiefen können.

Um welche Kompetenzen geht es?
Das fängt mit fachlichen Kompetenzen an, etwa der Ausbildung und der Berufserfahrung. Dazu kommen entwicklungspolitische Kompetenzen, die notwendig sind, um die fachlichen Kompetenzen überhaupt zur Geltung bringen zu können. Dazu zählen Sprach- und Landeskenntnisse sowie interkulturelle Kompetenzen und die Fähigkeit zur Beratung und zur Vernetzung. Zunehmend verlangt werden weitergehende fachliche Kompetenzen, wie etwa Controlling, Wissensmanagement,  Konfliktbearbeitung oder politische Analyse- und Handlungsfähigkeit. Wir haben 42 Fachkräfte befragt. Dabei ist herausgekommen, dass es in den Entsendediensten eine gute Fort- und Weiterbildung gibt. Es hapert aber unter anderem noch bei der Vermittlung von Beratungs- und von Vernetzungskompetenz.

Es wird seit Jahren darüber diskutiert, ob die Entsendung von Fachkräften in Entwicklungsländer überhaupt noch zeitgemäß ist. Für mich klingt es so, als gehe es in Ihrer Studie darum, diesem umstrittenen Instrument eine neue Daseinsberechtigung zu geben, um es noch etwas länger am Leben zu halten.
Es stimmt, die Identität des Entwicklungsdienstes steht in Frage. Auf der einen Seite gibt es den Trend zur Professionalisierung. Auf der anderen Seite gibt es in den Ländern des Südens selbst zunehmend Fachkräfte und Expertise. Insofern steht die Frage im Raum, wofür man einen Entwicklungsdienst überhaupt noch braucht.

Und wie lautet Ihre Antwort auf diese Frage?
Es hilft, sich an die Ursprünge des Entwicklungsdienstes zu erinnern. Dieses Instrument wurde ja geschaffen als Gegengewicht zur staatlich gesteuerten und marktwirtschaftlich ausgerichteten Entwicklungszusammenarbeit. Und als solches Korrektiv ist der Entwicklungsdienst weiter notwendig und hat eine Zukunft. Es gibt einerseits konzerngesteuerte, neoliberal ausgerichtete Strategien der Modernisierung im Süden. Andererseits gibt es auf zivilgesellschaftlicher Ebene Versuche, Alternativen dazu zu entwickeln. Beim Entwicklungsdienst geht es darum, gemeinsam in Nord und Süd Erfahrungen mit Ansätzen zur nachhaltigen Entwicklung zu machen und sich darüber auszutauschen. Dafür ist er unverzichtbar.

Muss man dann nicht viel stärker den Einsatz von Fachkräften aus dem Süden im Norden fördern?
Auf jeden Fall. Das funktioniert nur als wechselseitiger Lernprozess.

Und ist der Entwicklungsdienst nicht überfordert damit, den vorherrschenden Ansatz von Entwicklungszusammenarbeit zu korrigieren?
Im Moment ja. Ich sehe aber eine Chance darin, sich auf die Wurzeln des Entwicklungsdienstes zu besinnen und das politische und gesellschaftliche Engagement wieder zu betonen. Konkretes Beispiel: Wenn Fachkräfte in einer Partnerorganisation arbeiten und dort korrupte Praktiken wahrnehmen, dann ist Wegsehen sicherlich kein produktiver Ansatz. Die Alternative ist, gemeinsam mit den Partnern daran zu arbeiten, wie man mit Korruption umgeht und wie man politische Veränderung gestaltet. Das setzt aber eine entsprechende Haltung und Beratungskompetenz voraus.

Was muss sich ändern?
Die Fachkräfte müssen Möglichkeiten erhalten, während ihres Einsatzes dazuzulernen: an den Aufgaben und mit den Partnern. Dazu müssen sie während des Einsatzes vom Entsendedienst kontinuierlich begleitet werden. Lernen kann nur im Austausch mit anderen stattfinden; das kann ein Supervisor, eine Führungskraft oder eine andere Fachkraft in einem anderen Projekt sein. Das kann aber auch im Rahmen von Tagungen geschehen, auf denen Lernergebnisse reflektiert werden.

Das klingt, als sei Entwicklungsdienst vor allem eine Weiterqualifizierungsmaßnahme für Fachkräfte aus dem Norden. Gerät da nicht aus dem Blick, wofür er eigentlich da sein sollte?
Das ist ein Missverständnis. Damit ein Entwicklungshelfer gut arbeiten kann, muss er die Möglichkeit haben, während des Einsatzes zu lernen. Lernen ist Mittel zum Zweck. Das ist im Übrigen keine Besonderheit des Entwicklungsdienstes, sondern gilt für jeden Arbeitsplatz. Und wenn ich andere Leute beraten soll, dann ist das umso wichtiger. Deshalb ist unsere Studie ja so interessant: Hier wird erstmals untersucht, wie die erforderlichen Lernprozesse stattfinden.

Wie können Entwicklungshelfer ihre Kompetenzen nach Ihrer Rückkehr hier bei uns nutzen?
Sie können helfen, die vielfältigen Globalisierungskrisen zu bewältigen, die zunehmend auch den Norden erreichen. Entwicklungshelfer kennen diese Krisen häufig aus eigener Erfahrung und haben gelernt, damit umzugehen. Sie können hier bei uns wertvolle Beiträge dazu leisten. Beispiele sind die zivile Konfliktbearbeitung auf kommunaler Ebene oder die Flüchtlingsarbeit. Die von uns befragten Fachkräfte haben übereinstimmend geantwortet, dass sie mit Kusshand genommen werden, um mit Flüchtlingen zu arbeiten. Es wäre gut, wenn ehemalige Entwicklungshelfer mit ihren Kompetenzen aktiver und vorbeugend für solche Aufgaben eingesetzt würden. Aber auch in vielen anderen Bereichen braucht es heutzutage Fachkräfte mit internationaler und interkultureller Erfahrung. Da sehe ich ein großes Potenzial.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2017: Internet: Smarte neue Welt
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