Vertrieben und vergessen

Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Weltbank seit vielen Jahren, sie kümmere sich nicht genug um die Menschen, die in Folge ihrer Projekte umgesiedelt werden. Eine bankinterne Untersuchung hat das jetzt bestätigt.

Wenn man denn schon umgesiedelt werden muss, weil das Heimatdorf einer neuen Zuckerrohrplantage oder einem Stausee zum Opfer fällt, dann am besten im Rahmen eines Weltbank-Projekts. Das war zumindest bisher das Selbstbild des Washingtoner Finanzinstituts: Die Vorkehrungen bei Umsiedlungen seien besser als die der meisten Länder, einschließlich der Demokratien des Westens, heißt es stolz in einem Informationspapier: Die Bank stehe dazu, dass es niemandem schlechter gehen soll nach einer Umsiedlung, im Gegenteil.

Selbst Kritiker der Weltbank sagen, dass das auf dem Papier sogar stimmt: Die Regeln für Zwangsumsiedlungen seien tatsächlich vorbildlich. Nur: Die Wirklichkeit sieht vollkommen anders aus. Das hat eine interne Untersuchung der Weltbank ans Licht gebracht, deren Ergebnisse Anfang März veröffentlicht worden sind. Die Prüfer hatten mehr als 1400 Projekte aus den Jahren 1990 bis 2010 unter die Lupe genommen, bei denen Bewohner des Projektgebietes umgesiedelt wurden. Mehr als die Hälfte der Projekte entfielen auf den Transportsektor, also etwa auf Straßen-, Hafen- oder Eisenbahnbau, sowie auf Energieversorgung und Landwirtschaft.

Die Weltbank erhebt zu zentralen Fragen gar keine Daten

Die zentrale Botschaft der Untersuchung lautet: Insgesamt hat die Weltbank keine Ahnung, wie viele Menschen in den von ihr finanzierten Projekten ihre Heimat verlassen müssen, wo und unter welchen Bedingungen sie neu angesiedelt und ob sie dafür entschädigt werden. Die Gutachter stellen fest, dass die Bank zu all diesen Fragen kaum Daten erhebt. Häufig gebe es noch zu Beginn eines Projekts einen Plan für Umsiedlungen, doch im Verlauf kümmere sich niemand mehr darum. In den meisten Abschlussberichten komme die Frage dann überhaupt nicht mehr vor. Zu diesem Zeitpunkt hat die Weltbank die umgesiedelten Menschen buchstäblich vergessen.

Wie gravierend die Mängel sind, geht auch aus dem „Aktionsplan“ hervor, den die Bank als Antwort auf die Untersuchungsergebnisse aufgestellt hat. Darin heißt es sinngemäß, dass die für die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards zuständigen Weltbankmitarbeiter entweder überfordert oder nicht ausreichend qualifiziert sind – oder schlichtweg nichts zu sagen haben. So wird im Aktionsplan eigens betont, sie müssten in Zukunft die gleichen Karrierechancen erhalten wie Personal, das für die Projektdurchführung zuständig ist.

Für kritische Weltbankkenner kommen die Ergebnisse nicht überraschend, sind aber trotzdem frustrierend. Knud Vöcking von der Organisation urgewald sagt, schon zu Zeiten als der deutsche Entwicklungsminister noch Carl-Dieter Spranger hieß, also Anfang der 1990er Jahre, habe Deutschland in Washington auf eine verantwortlichere Umsiedlungspolitik gedrängt. Doch die Weltbank habe in den vergangenen 20 Jahren nichts unternommen.

Bank-Präsident Jim Yong Kim will vor allem sparen

Bereits vor drei Jahren forderte eine Koalition internationaler Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen den damaligen Weltbank-Chef Robert Zoellick auf, aussagekräftige Daten zu Umsiedlungen zu veröffentlichen. Zoellick wiegelte ab und antwortete in einem Brief, Umsiedlungen würden genau kontrolliert und dokumentiert. Die Untersuchung, die jetzt das Gegenteil ans Licht gebracht hat, hatte damals gerade begonnen. Als hätte Zoellick schon geahnt, was dabei herauskommen würde, fügte er seinem offiziellen Antwortschreiben eine handschriftliche Notiz hinzu, die NGOs sprächen mit ihrer Forderung einen wichtigen Punkt an.

Vöcking ist skeptisch, dass der Aktionsplan der Weltbank die Missstände beheben wird. Denn die Politik des amtierenden Weltbank-Präsidenten Jim Yong Kim ziele in eine ganz andere Richtung. Kim will die Bank umfassend reformieren und vor allem Kosten sparen. Dafür sollen Personal entlassen und Transaktionskosten in Projekten gesenkt werden – die entstehen zum Beispiel, wenn schon vor Projektbeginn mögliche Auswirkungen auf Umwelt und Menschenrechte untersucht werden. Die neuen Sozial- und Umweltrichtlinien, über die die Bank derzeit berät, zielen laut Vöcking stattdessen darauf ab, dass solche Auswirkungen möglichst nur im Projektverlauf ermittelt werden. Für gegensteuernde Maßnahmen ist es dann allerdings oft zu spät.

Vöcking fordert, dass angesichts der Untersuchungsergebnisse zu den Umsiedlungen die Neufassung der Sozial- und Umweltrichtlinien auf Eis gelegt wird. Doch die Bank will die neuen Richtlinien bis Juli verabschieden.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2015: Unternehmen: Fair bringt mehr
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