Andere Minister haben entwicklungspolitische Weißbücher verfasst, doch Gerd Müller will mehr. Sechs Monate sammelte er Eingaben aus der Zivilgesellschaft, Politik, Wirtschaft, Religion und Wissenschaft. Beantwortet die daraus hervorgegangene Charta, an welchen Leitlinien sich die deutsche Entwicklungspolitik orientieren soll?
Es ist vollbracht: Entwicklungsminister Gerd Müller hat am Montag in Berlin die Zukunftscharta „EINEWELT – Unsere Verantwortung“ an Bundeskanzlerin Angela Merkel übergeben. Auch die Minister für Wirtschaft, Umwelt, Landwirtschaft und Arbeit stellten sich in verschiedenen Gesprächsrunden den Fragen der Besucher. Soviel Aufmerksamkeit für Entwicklungspolitik ist selten.
Zugleich war das Zukunftsforum der Abschluss eines beispiellos ambitionierten Prozess. Das wird von vielen Beteiligten hoch gelobt. Doch ob die umfangreichen Leitlinien auch eine politische Bedeutung erlangen wird, die über eine Neupositionierung hinausgeht, wird bezweifelt. Denn dem Dokument fehlen Ecken und Kanten – und dem Minister die Bereitschaft, Konflikte in der eigenen Koalition einzugehen, sagen Beteiligte.
Wie schon beim Textilbündnis hatte Müller die Latte hoch gelegt. Er wollte Signale geben und gesellschaftlich breit verankerte Antworten auf die Frage, wie eine nachhaltige und gerechte Welt künftig aussehen und eine globale Partnerschaft gestaltet werden kann. Nichts weniger als einen „Paradigmenwechsel im Denken und Handeln, national und international“, mahnte der Minister an.
Strittige Positionen wurden geglättet
Das Ergebnis erfüllt das nicht – weder nach Inhalten, noch nach Schlagkraft in der Regierung. Die Positionen in den sechs Handlungsfeldern – Menschenwürde, Umweltschutz, Wirtschaften für Mensch und Natur, gute Regierungsführung, Frieden, neue Technologien sowie partnerschaftliches Zusammenarbeiten – sind recht schwammig formuliert. Die Wegweiser wirken „höchstens verbindend, aber nicht verbindlich“, sagt eine Beteiligte. Denn die Charta bleibt ein Papier des Entwicklungsministeriums, nicht aber der Bundesregierung.
Zwar wurde sie mit anderen Ressorts abgestimmt, aber die strichen auch, wo eigene Interessen berührt sind: etwa das Ansinnen, über verpflichtende Standards für global agierende Unternehmen nachzudenken. Oft bleibt dann nur der kleinste gemeinsame Nenner, wie die lapidare Feststellung, dass die Durchsetzung von Menschenrechten in Unternehmen weltweit nur durch Kontrollmechanismen gewährleistet werden könne. Aber wer trägt die Verantwortung dafür? „Wo man Zielkonflikte benennen müsste, bleibt es bei Appellen an die Wirtschaft“, kritisiert Jürgen Maier vom Forum Umwelt und Entwicklung. Selbst einfache Formeln zugunsten einer Neuausrichtung der Handelspolitik blieben draußen. Auch in der Agrarpolitik wurden strittige Positionen geglättet.
Wer konkrete Empfehlungen etwa für die deutsche Präsidentschaft der Industrienationen G7 in 2015 erwartet hat, wird enttäuscht. Dabei hatte sich das Kanzleramt von Müller durchaus Impulse für Standards in globalen Wertschöpfungsketten gewünscht. Ebenso wenig lässt der Minister erkennen, ob er die Zukunftscharta in ein Aktionsprogramm zur Umsetzung der neuen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen für die Zeit nach 2015 überführen will. Bei den Dialog-Seminaren hatten Beteiligte gefordert, die Charta solle gemeinsame Handlungsrichtlinien und Umsetzungsschritte für Regierung, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft formulieren.
Lob aus der Zivilgesellschaft
„Sie bringt nicht viel, aber sie schadet auch nicht“, urteilt ein Beteiligter über die Zukunftscharta. Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), sagt, wenn sie dazu beitrage, das zukünftige Profil der deutschen Entwicklungspolitik zu klären, sei schon viel gewonnen. Ähnlich urteilt der Dachverband entwicklungspolitischer Organisationen VENRO. Dass unklar sei, wie die Charta umgesetzt werde, mache die „bemerkenswert weitreichenden Inhalte“ nicht schlechter, meint Geschäftsführerin Heike Spielmans. Das Engagement der Zivilgesellschaft gebe dem Minister Rückenwind. Vorstandsmitglied Renate Bähr von der Stiftung Weltbevölkerung äußerte zugleich die Erwartung, dass der Leitfaden ein Baustein für die neue Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung werde, die 2016 neu formuliert wird.
Zweifel und Hoffnung mischen sich somit, was die Zukunft der Charta angeht. Schlimmstenfalls wird sie in der Schublade verschwinden – wie eine ähnliche angelegte Initiative für eine „Charta für Landwirtschaft“ im Agrarministerium, als Müller dort Staatssekretär war. Bestenfalls wird Müller nach der eigenen Profilbildung im ersten Amtsjahr verstärkt versuchen, auch unbequeme politische Inhalte durchzuboxen. Nun liegt es an der Zivilgesellschaft, die ihm zugearbeitet hat, umgekehrt den Minister in die Pflicht zu nehmen.
(Marina Zapf)
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