Neue Sau im globalen Dorf

Bei der UN-Vollversammlung diese Woche in New York geht es um gleich zwei große Zukunftsthemen: Den Klimanschutz und die neue Entwicklungsagenda. Doch die Nachhaltigkeitsziele werden der Politik keine neue Richtung geben, meint welt-sichten-Redakteurin Gesine Kauffmen. Dem Klimaschutz könnten sie sogar schaden.

Wenn die Delegierten in der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) in diesem Monat über Ziele für eine nachhaltige Entwicklung diskutieren, liegt ihnen ein umfangreicher Katalog vor. Nach 50 Sitzungstagen hat sich die von ihr eingesetzte Offene Arbeitsgruppe auf eine Liste mit 17 Zielen und insgesamt 169 überprüfbaren Zielvorgaben geeinigt. Sie sollen die acht UN-Millenniumsziele (MDGs) ablösen, die zwischen 2000 und 2015 dem Kampf gegen Armut und Hunger sowie für eine bessere Bildung und Gesundheits versorgung eine Richtung gegeben haben.

Das Neue daran: Die Nachhaltigkeitsziele sollen für alle Staaten gelten, nicht nur für die armen Länder. Das wird von allen Seiten begrüßt – die Verantwortung für eine sozial gerechtere und umweltfreundlichere Welt müssen schließlich alle gemeinsam tragen. Die Kritik am Zielkatalog der Arbeitsgruppe ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Zu schwammig, zu unverbindlich, unrealistisch oder „erschreckend banal“ lauteten die Urteile. Außerdem wird über die „Mittel zur Umsetzung“ gestritten, etwa in Form von Geld oder Technologietransfer.

Autorin

Gesine Kauffmann

ist Redakteurin bei "welt-sichten".

Doch neben der Kritik an den Details stellt sich eine viel grundsätzlichere Frage: Sind die Nachhaltigkeitsziele ein geeignetes Instrument, um Wohlstand gerechter zu verteilen, die Grenzen des Planeten zu respektieren und die nachkommenden Generationen im Blick zu behalten? Entwicklungsexperten von der Harvard-Universität geben darauf eine eindeutige Antwort: Globale Ziele zu setzen sei eine schlechte Methode, um internationale Politik zu gestalten, lautet das Fazit ihrer Studien zur Wirkung der MDGs.

Neben günstigen Effekten stellen sie eine Reihe von schädlichen Nebenwirkungen fest: Die MDGs hätten den Fokus der Entwicklungszusammenarbeit auf technische Lösungen gelenkt und Prozesse des sozialen Wandels wie alternative Wirtschaftsformen oder den Abbau von Ungleichheit und Diskriminierungen an den Rand gedrängt. Im Einzelnen seien die MDGs weit hinter die Beschlüsse großer UN-Konferenzen wie der Weltfrauenkonferenz in Peking oder der Kairoer Weltbevölkerungskonferenz zurückgefallen, bemängeln die Wissenschaftler.

Diesen Vorwurf kann man den Nachhaltigkeitszielen zwar nicht machen. Die Arbeitsgruppe hat versucht, sämtliche Dimensionen von Entwicklung unter einen Hut zu bekommen und sie – zumindest teilweise – mit differenzierten Indikatoren zu unterfüttern. Doch genau in der Fülle liegt das Problem: Es ist für jede und jeden etwas dabei, der Katalog setzt keine Prioritäten, Konflikte zwischen einzelnen Zielen werden ausgeblendet. Und es bleibt eine starke Konzentration auf quantitative Messgrößen. Das wird den notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen nicht gerecht.

Welche Vision steckt hinter all den vielen Zielen?

Charles Kenny von der US-amerikanischen Denkfabrik Center for Global Development geht in seiner Kritik noch weiter. Eine Frage, schreibt er, werde bei allen Verhandlungen über die Nachhaltigkeitsziele und ihre Finanzierung stets unter den Tisch gekehrt: Was sollen diese Ziele eigentlich bewirken – welchem übergeordneten Ziel dienen sie? Sollen sie eine gemeinsame Vision für arme und reiche Staaten liefern, wie die Welt im Jahr 2030 aussehen soll? Oder zusätzlich den Weg weisen, wie man dorthin kommt? Geht es eher darum, globale Aufgaben gemeinsam zu bewältigen? Für alle diese Zwecke erscheinen sie in ihrer jetzigen Form ungeeignet. Bis zu ihrer geplanten Verabschiedung im September 2015 stehen zähe und schwierige Verhandlungen an, die viel Zeit und Geld kosten werden – und ganz nebenbei das Klima schädigen. Und niemand wird die Staaten dazu zwingen können, die Ziele dann auch einzuhalten.

Wird also nur eine neue Sau durch das globale Dorf getrieben? Die wachsende Ungleichheit und die Zerstörung der Umwelt zeigen deutlich, dass Regierungen, Unternehmen und die Zivilgesellschaft handeln müssen – in ihren nationalen Grenzen und darüber hinaus. Doch statt ihre Energien auf  die Verhandlung von Nachhaltigkeitszielen zu verschwenden, könnten sich die Staaten als ersten Schritt auf eine ehrgeizige Klimarahmenkonvention verpflichten und die dann auch mit Leben füllen.

Beim Abbau der Diskriminierungen von Mädchen und Frauen und beim Erhalt der Biodiversität bleibt ebenfalls noch genug zu tun – ganz zu schweigen von der Einhaltung der sozialen und politischen Menschenrechte. Ausschlaggebend bleibt der politische Wille. Es ist wenig wahrscheinlich, dass ein schwammiger Katalog von Nachhaltigkeitszielen ihn besser mobilisieren kann als völkerrechtlich verbindliche Abkommen.  

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erschienen in Ausgabe 9 / 2014: Atomwaffen: Abrüstung nicht in Sicht
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