Ein Waschraum, eine Toilette und zwei Räume à 30 Quadratmeter mit mehr als einem Dutzend Schreibtischen, an denen Aktivisten gegen Atomkraft, Menschenrechtler, Gentechnikkritiker und Gegner industrieller Großprojekte und Sonderwirtschaftszonen arbeiten. Das ist das Büro von INSAF, dem Indian Social Action Forum in Neu-Delhi. Das Akronym bedeutet auf Urdu „Gerechtigkeit“. Mehr als 700 Organisationen und Bewegungen haben sich unter dem Dach von INSAF, einer Partnerorganisation von „Brot für die Welt“, zusammengeschlossen. Doch seit Juni kann INSAF kein Geld mehr abheben, weil das Innenministerium das Konto des Verbands eingefroren hat; die Grundlage dafür ist das Gesetz zur Registrierung ausländischer Geldmittel.
„2010 haben sie das Gesetz geändert; Konten können jetzt auch wegen ‚politischer Aktivitäten‘ gesperrt werden“, erklärt Wilfried D’Costa, ein Sprecher von INSAF. Seine Organisation ist eine der 22.000 zivilgesellschaftlichen Organisationen in Indien, die Gelder aus dem Ausland erhalten. Alle müssen sich beim Innenministerium registrieren. INSAF hat gegen die Neufassung des Gesetzes vor dem Obersten Gerichtshof geklagt – aber das Innenministerium schafft schon mal Fakten. Das offizielle Schreiben sagt nicht viel über die Gründe für die Kontosperrung: Die Aktivitäten von INSAF würden sich „nachteilig auf das öffentliche Interesse auswirken“.
Autor
Dominik Müller
ist freier Journalist.Öffentliches Interesse steht seit dem Vormarsch des Neoliberalismus in Indien als Synonym für Wirtschaftswachstum. Proteste, die wirtschaftliche Großprojekte oder Handelsabkommen behindern, interpretiert die Regierung als staatsfeindlichen Akt. „Diejenigen, die für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte kämpfen, sind Ziel der Repression geworden“, heißt es in einer Studie von ACT Alliance, einem Zusammenschluss von 130 christlichen Hilfswerken aus aller Welt.
2012 kritisierte der indische Premierminister Manmohan Singh in einem Interview mit der US-amerikanischen Wissenschaftszeitschrift „Science“ Atomkraftgegner und Gentechnikkritiker, die oft auch die Kämpfe von Bauern, Fischern und Anwohnern gegen solche Projekte unterstützen. „Es gibt NGOs, oft finanziert aus den Vereinigten Staaten und Skandinavien, die kein Verständnis für die Entwicklungsherausforderungen unseres Landes aufbringen“, sagte Singh. Und einen Satz später versuchte er, potenzieller Kritik an seinem demokratischen Verständnis den Wind aus den Segeln zu nehmen: „Aber wir sind eine Demokratie, wir sind nicht wie China.“
Deutsche Hilfswerke halten sich zurück
Aber vielleicht wie Russland? Kurze Zeit nach dem Interview entzog das Innenministerium mehr als 4000 nichtstaatlichen Organisationen – angeblich aus formalen Gründen – die Kontolizenz. Zahlreiche der betroffenen Organisationen hatten gegen das derzeit größte indische Atomkraftwerk im südindischen Koodankulam protestiert, das mit Hilfe des russischen Konzerns Rosatom errichtet wurde. Die Aktivitäten der indischen Regierung wirken. Viele NGOs fürchten nun um ihre Existenz. Das bestätigt auch S. P. Udayakumar, der Sprecher der Bewegung gegen das Atomkraftwerk in Koodankulam: NGOs hätten mittlerweile Angst, an den Protesten teilzunehmen.
Aktionen des zivilen Ungehorsams gehören in Indien zur gängigen Praxis sozialer Protestbewegungen. „Sogar einfache Demonstrationen und Kämpfe von Bauern und Ureinwohnern definieren sie jetzt als verbotene politische Aktivität“, sagt INSAF-Sprecher D’Costa. „Aber wir sagen, dass politische Aktivität ein Grundrecht eines jeden indischen Bürgers ist – so wie es in unserer Verfassung steht.“
Nichtstaatliche Entwicklungsorganisationen aus Deutschland sind beunruhigt. Aber die meisten halten sich mit Kritik an Indiens Regierung zurück – aus Sorge um ihre vielen Projektpartner, die dann in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. „Es handelt sich um einen globalen Trend“, sagt die Sprecherin eines deutschen Geldgebers. Die BRICS-Staaten Südafrika, Russland und vor allem Indien, die „größte Demokratie der Welt“, versuchten, über restriktive Gesetze kritische Stimmen verstummen zu lassen.
So lange die Geschäfte mit diesen Ländern gut laufen, sind deswegen wohl keine ernst zu nehmenden Ermahnungen oder gar Sanktionen westlicher Regierungen zu erwarten. Eine US-Regierungssprecherin beteuerte auf Anfrage der „Washington Post“ zu den Vorfällen in Indien, keine Gelder für Proteste gegen Atomkraftwerke auszugeben, sondern stattdessen in „Entwicklungsprojekte“ zu investieren, die dem Wirtschaftswachstum dienen.
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