Dialog unter staatlicher Aufsicht

Seit den 1980er Jahren führen schiitische Geistliche aus dem Iran immer wieder Dialoge mit führenden Vertretern anderer Religionen. Doch die Regierung in Teheran hat die iranischen Delegationen ihrer Kontrolle unterstellt und die Möglichkeiten für offene Gespräche im Iran selbst stark eingeschränkt. Was kann ein interreligiöses Gespräch unter diesen Umständen nutzen?

Mit dem Iran verbindet man Begriffe wie „Atomprogramm“ oder „radikaler Islam“. Einige Iraner haben versucht, das Bild zum Besseren zu verändern, darunter Mohammed Chatami, der frühere Staatspräsident des Iran: Er erklärte damals vor den Vereinten Nationen, die iranische Gesellschaft sei auch an einem „Dialog zwischen Zivilisationen und Kulturen“ interessiert. Insbesondere regelmäßige Gespräche eines iranischen schiitischen Institutes mit orthodoxen, katholischen und protestantischen Kirchen und Instituten lassen darauf schließen, dass es seit der Islamischen Revolution von 1979 eine Tradition des konstruktiven Dialogs gibt. Was aber ist sein Ziel?

„Christentum“ und „Westen“ bedeuten im Iran weitgehend das gleiche. Die Geschichte des Kolonialismus und der Missionierung hat zu Misstrauen gegenüber dem Westen geführt. Auf diesem Hintergrund wurden im Iran schon früh verschiedene religiöse Zentren gegründet, um den Islam gegen das Christentum zu verteidigen. Nach der Islamischen Revolution war die Außenpolitik von einer antiwestlichen Haltung bestimmt. Doch bald begann auf Initiative von religiösen Intellektuellen wie Mohammad Mojtahed Shabestari und Abdolkarim Soroush von der Akademie für Weltweisheit und Philosophie der erste interreligiöse Dialog mit christlichen Partnern in westlichen Ländern. Der erste war 1982 die Griechisch-Orthodoxe Kirche. Seit 1990 hat die iranische Regierung zunehmend die Kontrolle über den interreligiösen Dialog übernommen – zunächst über  das Ministerium für Kultur und islamische Führung, später über die Organisation für Islamische Kultur und Beziehungen (ICRO), das zu diesem Ministerium gehört und für auswärtige Kulturpolitik zuständig ist. Nichtstaatliche Organisationen konnten ihre Arbeit nicht fortsetzen. Heute haben nur solche eine Existenzmöglichkeit, die indirekt Kontakte zum Revolutionsführer oder zu den Geistlichen in Ghom haben, dem Zentrum der Geistlichkeit. Zurzeit ist nur ein staatliches Institut am interreligiösen Dialog beteiligt, das der ICRO zugeordnete Zentrum für Interreligiösen Dialog (CID).

Das CID war nach  eigenen Angaben an interreligiösen Dialogkonferenzen unter anderem mit der anglikanischen Kirche von England, dem Päpstlichen Rat für Interreligiösen Dialog und dem Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf beteiligt. Allmählich   beschränkte sich der Kreis der Delegierten auf Personen, die enge Verbindungen zum Obersten Führer des Iran haben – darunter Seyed Mohammed Chamenei, der Bruder des Revolutionsführers. Die ICRO wird von einem inneren Obersten Rat geleitet, der aus 15 Personen besteht. Fünf davon werden direkt vom Revolutionsführer ausgewählt, der Rest indirekt.

Autorin

Fatemeh Kamali Chirani

promoviert an der Universität Duisburg-Essen über den interkulturellen Dialog zwischen dem Westen und muslimischen Ländern. Sie hat in Teheran ein Studium in Journalismus und Kulturstudien absolviert.

Der interreligiöse Dialog mit ausländischen Institutionen hat Auswirkungen auf Diskussionen im Land – vor allem da die iranische Gesellschaft religiös pluralistischer ist, als viele westliche Beobachter denken. Der Dialog mit anderen Religionen im Ausland wäre am fruchtbarsten, wenn er an einen Dialog im Inland gekoppelt wäre. Das ist allerdings schwierig. Bessere Rahmenbedingungen für den Dialog sind ein wichtiger Schritt Richtung stärkerer politischer Beteiligung der Bürger. Mindestens zwei Probleme ergeben sich hier im Iran: Wie wird erstens die Sicherheit der Bürger garantiert, die diese Fragen offen diskutieren? Berichten zufolge waren im vergangenen Jahr 232 Journalisten inhaftiert, die meisten wegen „Propaganda gegen das islamische System“. Wie können sich Bürger offen an einem Dialog beteiligen in einer Gesellschaft, in der sich Journalisten nicht sicher fühlen können, ihre Meinung frei zu äußern? Zweitens, wie lässt sich sicherstellen, dass nicht nur die Standpunkte anderer Religionen und Konfessionen im Iran berücksichtigt werden – etwa der Sunniten, armenischen Christen und Juden –, sondern auch die säkularen Überzeugungen vieler Bürger?

Der interreligiöse Dialog sollte im Ausland keinen falschen Eindruck vom Charakter der iranischen Gesellschaft vermitteln. Es wäre viel zu oberflächlich, sie als religiöse anzusehen. Leider gibt es keine zuverlässigen Erhebungen über die religiösen Überzeugungen im Land, sondern nur über die der Iraner im Ausland. Es gibt jedoch deutliche Anzeichen dafür, dass zumindest in der städtischen Mittelschicht sehr viele Iranerinnen und Iraner säkular eingestellt sind.

Das steht nicht im Widerspruch zu iranischen und schiitischen Traditionen – speziell Ayatollah Khalkhali versuchte während der „Konstitutionellen Revolution“ von 1905-1911, Religion und Staat zu trennen. Heute wehren sich viele Iraner, vor allem Frauen und junge Leute, gegen religiöse Symbole wie den Schleier (Hidschab). Der interreligiöse Dialog sollte vermeiden, die säkularen sowie jene religiösen Gruppen und Diskurse, die nicht der politischen Führung nahestehen, noch weiter an den Rand zu drängen. Andernfalls würde er zu noch weniger Spielraum für kulturellen und weltanschaulichen Pluralismus beitragen.

Welche Ergebnisse können wir von einem Dialog erhoffen, der mehr oder weniger von Regierungen bestimmt wird?

Laut dem CID gehören zu den Hauptzielen des von ihm geführten Dialogs gegenseitiges Verständnis zwischen Religionen und Kooperation unter ihren Führern. Aber zweierlei scheint dem Zielen zu widersprechen. Erstens dürfen nach der Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas die Dialogpartner nicht von der Regierung oder dem Staat abhängig sein, wenn ein Dialog Mittel der gegenseitigen Verständigung sein soll. Iranische Teilnehmer an interreligiösen Dialogkonferenzen sind vom System gesteuert. Allerdings waren in manchen Fällen auch westliche oder russische Dialogteilnehmer nicht völlig von ihrem Staat oder ihrer Regierung unabhängig.

Zweitens erweckt das CID den Eindruck, dass es seine Arbeit nicht sehr ernst nimmt oder nicht gut organisiert ist. Seine Website zeichnet sich vor allem durch ungeordneten Inhalt, unregelmäßige Aktualisierungen und leere Abschnitte aus. Alle Versuche, per E-Mail oder telefonisch mehr Informationen zu bekommen, sind gescheitert.

Wenn also das CID kaum zu einer Verständigung mit anderen Religionen gelangen wird, was kann dann das eigentliche Ziel der Dialogkonferenzen sein? Es scheint, dass der Iran zwei wichtige Ziele verfolgt: Erstens indirekt Beziehungen zu westlichen Ländern zu haben, auch wenn er offiziell eine antiwestliche Haltung einnimmt. So kann der Iran der totalen Isolation entkommen. Zweitens will der Staat in einer Region, die von sunnitischen Nachbarn geprägt ist, ein günstiges Bild der schiitischen Religion und der schiitischen staatlichen Institutionen vermitteln. Die Gleichsetzung der schiitischen Religion mit der derzeitigen Führung soll diese Führung im In- und Ausland legitimieren.

Welche Ergebnisse können wir von einem Dialog erhoffen, der mehr oder weniger von Regierungen bestimmt wird? Trotz der Probleme bietet er auch Chancen. Wenn Gruppen sich regelmäßig in gleicher Zusammensetzung treffen, können sie im Lauf der Zeit Wege finden, soziale Fragen rational zu diskutieren. So einigten sich die schiitische Delegation des Iran und die katholische Delegation des Vatikan 2008 darauf, dass Rationalität ebenso achtbar sei wie Glaube. Daraus kann sich eine Möglichkeit zu ernsthaften Gesprächen über Säkularismus entwickeln.

Regelmäßige Treffen machen auch beide Seiten verantwortlich, über die Situation in ihrem Land zu informieren. Ein Beispiel dafür ist der Briefwechsel zwischen dem Iran und dem ÖRK im Jahr 1996 – der ÖRK-Vertreter bat um zuverlässige Informationen über die Ermordung eines Pfarrers im Iran. Wenn „Rationalität“ und „Verantwortung“ ernstgenommen werden, sind sie ein vielversprechender Ausgangspunkt für den interreligiösen Dialog, selbst mit einer Gruppe, der es um das Prestige ihres Landes geht. Die Gegenseite sollte klug genug sein, diese Gelegenheit zu nutzen, um allen Widrigkeiten zum Trotz auf ein besseres gegenseitiges Verständnis hinzuarbeiten.

Aus dem Englischen von Elisabeth Steinweg-Fleckner

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erschienen in Ausgabe 6 / 2013: Ungesunder Wohlstand
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