„Die Revolution hat die Köpfe geöffnet“

Katja Dorothea Buck
Besuch in Ägypten: Pfarrer Joachim Schroedel, Erzbischof Ludwig Schick und Ulrich Pöner von der Deutschen Bischofskonferenz (von links).
Eine spannendere Zeit hätte sich Erzbischof Ludwig Schick für seinen Solidaritätsbesuch in Ägypten kaum aussuchen können. Einen Tag bevor westliche Botschaften ihre Bürger aufforderten, das Stadtzentrum Kairos zu meiden, machte sich der Vorsitzende der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz zu einem Gang über den Tahrir-Platz auf.

Der Tahrir-Platz gleicht auch zwei Jahre nach der Revolution einem Zeltplatz. Der hartnäckige Kern der Demonstranten hat sich auf dem großen Rondell in der Mitte ein Lager eingerichtet. Vor zwei Jahren richtete sich der Zorn Hunderttausender gegen das Regime Mubarak. Heute ist der Unmut über die Regierung von Mohammed Mursi und die Muslimbrüder in ganz Ägypten so groß, dass viele schon in Kürze wieder mit Massendemonstration rechnen. Fast täglich kommt es zu Ausschreitungen rund um den Tahrir-Platz.

„Das ist schon alles sehr bedrückend“, sagt Erzbischof Schick, der nur an seinem Collarkragen als geistlicher Würdenträger zu erkennen ist – eine eher bescheidene Aufmachung für ein Land, in dem die Geistlichkeit, egal welcher Religion oder Konfession, nicht an prächtigen Gewändern spart. Schick läuft schweigend  an den Zelten der Oppositionsparteien vorbei, hält kurz am improvisierten Revolutionsmuseum an, lässt sich einige an Tücher gepinnte Zeitungsausschnitte erklären. Gegenüber hängt ein noch frisches Plakat: „Obama supports Dictator Mursi“ ist zu lesen – eine Anspielung auf den Besuch des neuen amerikanischen Außenministers John Kerry, der Ägypten gerade ein hohes Darlehen zugesagt hat. Schick seufzt, nachdem er die vier Worte vorgelesen hat.

„Jugendliche sehen für ihr ­Heimatland kaum eine Zukunft“

Für den Vorsitzenden der Kommission Weltkirche ist es der erste Besuch in Kairo. Eine Woche lang trifft Schick Vertreter aus der Politik und den Kirchen, um mehr über die Situation des Landes und insbesondere der Christen in Ägypten zu erfahren. Er nehme eine „tiefe Beunruhigung über die weitere Entwicklung Ägyptens“ wahr. „Gerade die Jugendlichen sehen für sich und ihr Heimatland kaum eine Zukunft. Neue Initiativen für eine gerechte und friedliche Entwicklung sind dringend erforderlich.“ Was Hoffnung mache, sei die Entschlossenheit vieler Muslime und Christen, sich nicht gegeneinander aufbringen zu lassen, sondern das Land gemeinsam voranzubringen. 

Der Weg durch das Stadtzentrum führt am Religionsministerium vorbei. „Die Revolution hat die Köpfe geöffnet“, sagt Schick. „Es ist so viel in Bewegung gekommen.“ Man wisse aber nicht, ob die Energie in die richtige Richtung fließen werde. „Die Kirchen müssen zusammenarbeiten und tun es ja auch schon“, sagt Schick und spielt auf den kürzlich erst gegründeten Ägyptischen Kirchenrat an. Es müsse nur endlich jemanden geben, der politisch das Heft in die Hand nehme und alle Kräfte, die das Land im positiven Sinne entwickeln könnten, um sich vereine. „Die Kirchen können nur indirekt auf die Politik einwirken“, sagt Schick. Sie hätten aber ein ungemein großes Potenzial. Allein im Erziehungsbereich könnten sie „mit den vielen, guten Privatschulen sehr viel bewirken“.

In einer Seitenstraße hält Monsignore Joachim Schroedel, der Seelsorger der deutschsprachigen Katholiken im Nahen Osten, noch einmal an. „In den vielen kleinen Kaffees versammelt sich die Jugend immer vor den Demonstrationen“, erklärt er. Während der Revolution habe man sich hier aber auch zwischendrin ausgeruht. Der Erzbischof aber muss weiter,  der nächste Termin steht schon auf dem Plan. Auch die Sicherheit ist derzeit in den Straßen von Kairo ein großes Thema. Die Kriminalitätsrate ist in den letzten Monaten stark gestiegen: Die wirtschaftliche Lage lässt viele Leute verzweifeln. Und da viele Polizeistationen mittlerweile in Streik getreten sind, werden insbesondere Ausländer vor Diebstählen im Stadtzentrum gewarnt.

Nur einmal bleibt die Gruppe noch kurz stehen. Schroedel hat gerade eine SMS von einem muslimischen Gesprächspartner am Vorabend bekommen. „Das muss ich vorlesen“, sagt er lachend zu Schick. „Er bedankt sich bei uns für das gute Gespräch und lässt Grüße an ‚His Majesty Holy Father‘ ausrichten.“ „Ach, bitte nicht“, winkt Schick ab. „Ich bin doch nicht der Papst.“

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erschienen in Ausgabe 4 / 2013: Wasser
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